«Purpose wird überschätzt, Performance unterschätzt» Topspeaker Hermann Scherer im Interview
Wenn Hermann Scherer auf die Bühne kommt, ist gute Laune angesagt: Der Topspeaker und Erfolgsautor begeistert mit Wissen, Witz und Charme. Doch was steckt hinter seinen pointierten Aussagen? Wir haben den scharfen Denker mit der spitzen Zunge zum Gespräch über Purpose, Perfomance und Sinnhaftigkeit des Marketings getroffen.
Herr Scherer, welche Bedeutung hat für Sie Marketing?
Ich bin ein grosser Marketing-Fan. Marketing ist die edlere Form von Verkauf, es hilft mir, meine Produkte und Dienstleistungen kaufen zu lassen. Und es ist doch viel, viel schöner, gekauft zu werden als zu verkaufen. Leistung wird ja erst dann zu Wert, wenn sie verkauft ist. So gesehen ist Marketing sehr wertvoll.
Marketing ist also das Lebenselixier für viele Unternehmen?
Was nützt es, gut zu sein, wenn keiner es weiss? Qualität, die nicht wahrgenommen wird, findet in den Köpfen der Zielgruppe nicht statt. Heute ist der Rahmen wichtiger als der Inhalt. Sichtbarkeit ist die Währung unserer Zeit. An den Börsen werden Hoffnungen und Geschichten gehandelt. Und die Schweizerische Post sorgt als Überbringerin von Botschaften und Geschichten für diese Sichtbarkeit.
Sichtbarkeit ist die Währung unserer Zeit.
Wie zeigt sich der Wert des Marketings in Unternehmen?
Ganz einfach: im Umsatz. Umsatz ist eine wunderbare Messgrösse, nicht für den Unternehmenserfolg, aber für die Begehrlichkeit der Produkte und Dienstleistungen. Und dafür ist das Marketing verantwortlich.
Und inwiefern zeigt er sich in den Köpfen der Zielgruppe?
In dem Moment, wo ein Kunde kauft und zum begeisterten Kunden wird. Aber auch, wenn Menschen ihre Erlebnisse weitererzählen oder stolz ihr neues Produkt zeigen. Jeder Mensch ist übrigens Influencer, und wenn er auch nur seinen Nachbarn influenct. Wenn sich Ihre Kunden wie Harley-Davidson-Fahrer Ihr Logo auf den Oberarm tätowieren lassen, dann haben Sie es geschafft!
Verstärkt gutes Marketing auch die Unternehmenskultur?
Ja natürlich, ein Unternehmen an sich ist sowieso tot. Da ist nur Material, Holz, Glas, Stein, Beton, sonst nichts. Das, was darin geschieht, ist entscheidend. Menschen glauben an etwas, an Produkte, an Nutzen. Je stärker die Glaubensgemeinschaft, desto stärker der Brand nach aussen.
Letztlich sind Dialoge das, was zählt.
Welche Rolle spielen Dialogmedien?
Eine grosse. Letztlich sind Dialoge das, was zählt. Je mehr echte Dialoge stattfinden, umso wertvoller ist der Kanal. Denn Dialoge schlagen Brücken. Die Digitalisierung hat geholfen, Dialoge automatisiert zum Laufen zu bringen. Briefsendungen sind in der Folge weniger geworden, doch dadurch steigen Wert und Aufmerksamkeit. Die Emotionalisierung ist immer grösser, wenn Sie etwas Haptisches in der Hand halten.
Ihr neues Buch, das im Februar 2022 erscheinen wird, trägt den Titel «Mach‘ deine Marke zu Gold». Gelingt dies eher durch den Blick aufs Dashboard oder durch die Inszenierung von Sinnhaftigkeit?
Sie brauchen zuerst die Zahlen, Daten, Fakten, dann darf inszeniert werden. Wobei Ihre Frage ja im zweiten Teil noch einen Anhang hat. Ich würde mir erlauben, «Sinnhaftigkeit» wegzuschneiden, denn sie muss nicht vorhanden sein. In Zukunft wird die Frage nach dem Sinn wichtig sein. Aber heute geht Marketing auch noch ohne Sinn mit grosser Performance.
Purpose Marketing ist aktuell der grosse Hype.
Ich bin da kritisch. Die Idee stammt ja vom amerikanischen Unternehmensberater Simon Sinek. Er untermauert seine These mit Beispielen, bei denen die Unternehmen gar nicht mit dem Why gearbeitet haben. Ein Why kann nämlich auch sein: Wir müssen Geld verdienen. In Wirklichkeit will Google vielleicht nicht allen das Wissen der Welt zugänglich machen, sondern die Weltmacht der Informationen besitzen. Und Elon Musk baut seine Elektroautos vielleicht nur, damit er später auf den Mars fliegen kann.
Wie wichtig ist denn dieses Warum, die Sinnhaftigkeit für den Kunden?
Es ist sehr, sehr wichtig für ihn, weil der Kunde heute keine Produkte mehr kauft, sondern die Geschichte dahinter, den Hype, die Botschaft, die Meinung eines Influencers. Insofern ist es extrem wichtig. Ob die Geschichten allerdings immer stimmen, das bezweifle ich. Darum glaube ich auch, dass Botschafter heute mehr verkaufen als Verkäufer, weil sie die besseren Geschichtenerzähler sind.
Botschaften sollten also immer einen tieferen Sinn vermitteln?
Wenn Sie das Wort «sollten» grossschreiben, dann ja. Ob das ein tieferer Sinn sein muss, sei dahingestellt, der Sinn kann manchmal auch relativ sinnlos sein.
Ist es nicht auch eine Frage der sozialen Schicht, wie viel Purpose wir brauchen?
Ja natürlich, in dem Moment, wo Sie eh nur so viel Geld haben, dass sie gerade überleben, werden Sie nur an den Purpose des Zweckes «Neue Hose, ich friere nicht mehr» denken. Aber natürlich erleben wir eine Anhebung dessen. Selbst Aldi ist längst dabei, Geschichten zu erzählen, Marken aufzunehmen, Werbung zu machen. Der Slogan von Aldi war ja ursprünglich: Wir brauchen keine Werbung, das haben wir nicht nötig, denn wir haben die günstigsten Produkte. Diese Zeiten sind vorbei.
Je höher wir in der Maslowschen Pyramide steigen, desto wichtiger wird also der Sinn?
Das können Sie natürlich auch wieder umdrehen und sagen: Wenn wir ganz oben angekommen sind, brauchen wir all diese Storys nicht mehr.
Wie können Unternehmen für sich selbst, die Mitarbeitenden und für die Kunden Sinn stiften?
Ganz viele Dinge entstehen aufgrund von Narben. Je mehr Narben, je mehr Verletzungen wir haben, umso grösser und stärker stehen wir da. Unternehmen werden erfolgreich, weil sie Dinge verbessern, weil sie mit dem Ist-Zustand nicht leben können. Oft ist es ein unbewusstes Why. Und für die Führung von Mitarbeitenden gilt: Wer Leistung will, muss Sinn bieten.
Ein weiterer Hype ist das Experience-Marketing. Welche Bedeutung haben Erlebnisse heute?
Wir leben heute in einer Erlebnisgesellschaft. Früher waren Erlebnisse kostenlos, heute muss man dafür bezahlen. Das fängt ja schon damit an, dass Familie früher ein Spassfaktor war, heute müssen Sie ins Disneyland fahren, damit Sie den gleichen Spass haben, den’s früher in der Familie gab. Menschen sind Erlebnisjäger und unser Leben ist langweilig geworden. Konsum ist eines der grossen Erlebnisse unserer Zeit.
Kunden suchen also Erlebnisse, was noch?
Unternehmen sind immer nur dann erfolgreich am Markt, wenn wir einen Nutzen stiften. Meine Strategie ist, einen Nutzen zu stiften, der weitaus grösser ist als die Investition. Ein Kunde von mir hat mal über mich gesagt: Zu Hermann Scherer kommen keine Menschen, die Geld ausgeben möchten, sondern zu ihm kommen Menschen, die Geld verdienen wollen. Und das macht letztlich auch Sinn, weil wir immer einen ROI berechnen, wir wollen immer etwas zurückbekommen. Das kann direkt das Geld sein, das kann aber auch Spass oder Emotion oder ein Erlebnis sein.
Sie sagen, ein USP sei schädlich und verringere den eigenen Wert und damit auch den Preis.
Das ist eine der streitbarsten Aussagen, die ich je getätigt habe. Ich erlebe immer wieder Unternehmen, die viele ihrer Qualitäten abschneiden und sich den Markt kaputtmachen, weil sie glauben, einem USP treu sein zu müssen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Fotograf darf heute nicht mehr Fotograf sein, er muss Hochzeitsfotograf sein oder Tierfotograf für rothaarige Katzen nach der Schwangerschaft. Und dann wundert er sich, wenn er am Schluss keine Aufträge mehr hat, weil es zu wenige rothaarige Katzen gibt, die kurz nach der Schwangerschaft daran denken, sich jetzt fotografieren zu lassen. Ich empfehle daher: Definiere dein Angebot nicht zu spitz, sondern stelle dich breit auf und targetiere deine Zielgruppe je nach Kanal.
Wie wichtig ist eine valide Datenbasis für die Planung?
Daten sind wichtig, aber ich glaube, dass Marketing hauptsächlich durch Umsetzung entsteht, durch Aktivität, durch Agilität. Es gibt nichts, was uns mehr in Aktion bringt, als die Aktion selbst und alles, was nicht Aktion ist, ist eine Flucht davor, ein Zerreden, ein Verplanen. Ich habe häufig das Gefühl, dass Marketing mehr am grünen Tisch als an den Märkten stattfindet. Performance wird unterschätzt.
Welche weiteren Fehler sollten Unternehmen vermeiden?
Kein Marketing zu machen. Die Frage nach einer Marktchance kann uns nur der Markt beantworten. Es geht nicht darum, ob der Markt da ist, sondern, ob ich für mein Produkt einen Markt schaffe. Wir müssen häufiger ins kalte Wasser springen, statt Businesspläne zu schmieden. Es hilft auch nicht, das Wasser erst mit dem Heizstab anzuwärmen.
Wer Hermann Scherer auf der Bühne erlebt hat, weiss: Seine Vorträge regen nicht nur die Hirnzellen an, sondern beschäftigen auch die Lachmuskeln.
Seine markigen Aussagen werfen so manch zementierten Marketingglauben über den Haufen. Doch das Sinnieren darüber muss sich das Publikum für später aufheben, möchte es die pointierten und Schlag auf Schlag präsentierten Anekdoten zu seinen Thesen nicht verpassen. Wie kein Zweiter versteht es Scherer, mit Charme, Charisma und Humor Aha-Erlebnisse samt Wohlfühlatmosphäre zu schaffen.
Es ist die Art, wie er seine provokanten Thesen mit kleinen Geschichten illustriert und rhetorisch perfekt inszeniert. Seine Stimme wohltemperiert, die Worte rhythmisch geordnet, immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Sein Erfolgsrezept? «Wissen können wir googeln. Gänsehaut nicht, sie ist aber genauso wichtig. Dafür braucht es einfache, schnell verständliche Worte, damit die Seele sie auch verstehen kann.»
Geübter Blick für Chancen
Und woher kommt der ungewohnte Blick auf die Dinge? «Ich bin ein Pessimist, sehe in allem die Schwierigkeit, das Risiko und das Problem.» Selbst im Gespräch klingen seine Worte melodisch. «Jedes Problem stellt eine betriebswirtschaftliche Chance dar, ein noch nicht gegründetes Unternehmen, eine Dienstleistung, ein Service oder ein Produkt. Daher habe ich mir angewöhnt, wie ein Problemtrüffelschwein durch die Welt zu rennen und zu schauen, wo etwas schiefläuft.» Dieser Blick habe ihm neben Erkenntnissen für die Bühne auch Unmengen an Geschäftschancen eingebracht, sagt er mit einem übermütigen Lächeln. Mit Glück habe sein Erfolg indes wenig zu tun: «Glück ist eine Überwindungsprämie, dafür muss man die Komfortzone verlassen.» Und zwar immer wieder, denn: «Glück ist eine flüchtige Angelegenheit.»
Gern gesehen, gern gelesen
Scherer weiss, wovon er spricht: Mit 50 veröffentlichten Fachbüchern zählt er zu den erfolgreichsten Autoren der Branche. «Ich liebe das Schreiben», sagt er. «Weil ich da in Kontakt mit mir selbst komme und mich mit meinen Gedanken und Thesen anfreunden kann. Von der inneren zur äusseren Bühne sozusagen.» Dass er beides beherrscht, beweist ein Blick auf seine Vita: Über 3‘000-mal stand er schon im Rampenlicht einer Bühne, lehrte an 18 europäischen Universitäten und legte sich dabei mit so manchem Marketingprofessoren an, wie er schmunzelnd erzählt.