«Jeder Touchpoint ist ein ‹Proof Point› für die Marke»

«Jeder Touchpoint ist ein ‹Proof Point› für die Marke» Markenexpertin Lucia Malär über aktuelle Erfolgsfaktoren im Branding

Der Prozess der Markenführung hat sich verändert – vor allem durch Social Media, künstliche Intelligenz und den Einsatz von Daten. Wie geht erfolgreiches Branding heute? Dazu lehrt und forscht Lucia Malär an der Uni Bern. Ein Gespräch über internes Branding, den Richtungswechsel bei der Markenkommunikation und die Tücken von «Creepy Marketing».

Portrait Lucia Malär
Für die Expertin Lucia Malär steht fest: Authentische Marken haben das Potenzial, in einer schnelllebigen Zeit wie ein Anker zu wirken und Sicherheit zu geben.

Was macht eine Marke aus Ihrer Sicht stark?

Lucia Malär: Erstens hat eine starke Marke eine hohe Symbolkraft – sie steht für etwas ein, das für die Kundinnen und Kunden relevant ist. Dies kann die Funktion eines Produkts sein, aber auch ein Wert oder eine Haltung. Im besten Fall vergleichen sich die Menschen mit der Marke und erfahren durch sie mehr darüber, wer sie als Person sind. Ein zweites, immer wichtigeres Kriterium für Markenstärke: Eine Marke muss authentisch sein.

Warum ist diese Authentizität heute so zentral?

Weil wir in der schnelllebigen und von Krisen geprägten Zeit Anker brauchen – Menschen und Institutionen, bei denen wir darauf vertrauen können, dass sie verlässlich und ehrlich sind. Dieses Bedürfnis wächst durch den Vormarsch der künstlichen Intelligenz noch. Denn es wird immer schwieriger zu wissen, was wahr ist. Hinzu kommt: KI führt zu Einheitsbrei in der Kreation. Da heben sich Marken mit einem authentischen Auftritt wohltuend von der Masse ab.

Trotz der gesellschaftlichen und technologischen Umbrüche finden sich in den Rankings der stärksten Marken heute vorwiegend die gleichen Namen wie vor zehn Jahren. Wie gelingt das diesen Unternehmen?

Sie verfügen über die zu Beginn erwähnte Symbolkraft, stehen konsequent für ihre Werte ein und stellen ihre Identität über kurzfristige Trends. Gleichzeitig gelingt es ihnen, die Werte neu zu übersetzen, die sie seit jeher auszeichnen. Sie lassen also auch Veränderungen im Markenauftritt zu.

Oft heisst es, Marken und ihre Werte müssten heute erlebbar gemacht werden. Wie geht das konkret?

Hier gilt die Formel «Walk the Talk»: Was ich als Marke in der Kommunikation verspreche, muss ich auf allen Kanälen einhalten können. Oder anders gesagt: Jeder Touchpoint ist ein «Proof Point». Ob die Marke diesen Test besteht, hängt vor allem vom Verhalten der Mitarbeitenden ab. Denn die Website oder ein Plakat lässt sich zwar komplett markenkonform gestalten. Doch wie potenzielle oder bestehende Kundinnen und Kunden den persönlichen Kontakt mit der Marke erleben, hängt vom Verhalten der Mitarbeitenden bei diesen Kundenkontakten ab. Sie müssen also wissen, wofür die Marke steht und wie sich die Markenwerte im Alltag umsetzen lassen. Da haben es die vielen KMUs in der Schweiz sogar einfacher als bekannte internationale Marken.

Warum?

Weil sich in einem kleineren Team leichter ein gemeinsames Verständnis davon schaffen lässt, was die Marke ausmacht. In einem Grosskonzern hingegen haben viele Mitarbeitende überhaupt keine Berührungspunkte zu dieser Markenessenz.

Die Mitarbeitenden müssen dazu befähigt werden, die Versprechen der Marke im Alltag einzulösen. Doch dies vernachlässigen viele Unternehmen.

Lucia Malär

Das bedeutet aber auch, die Verantwortung für positive Markenerfahrungen an die Mitarbeitenden zu delegieren.

Ich finde es richtig, dass sich die Mitarbeitenden bewusst sind: Markenführung ist nicht einfach eine Aufgabe der Marketingabteilung – als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter bin ich genauso dafür verantwortlich, dass die Marke gelebt wird. Aber selbstverständlich müssen die Mitarbeitenden auch dazu befähigt werden. Und dies vernachlässigen viele Unternehmen. Sie kommunizieren intensiv nach aussen, denken jedoch zu wenig daran, dass die Mitarbeitenden diese Versprechen der Marke im Alltag einlösen müssen.

Was braucht es dafür?

Es braucht eine interne Markenführung – ein Behavioural Branding, das auf das Verhalten der Mitarbeitenden abzielt. Eine gute Möglichkeit sind etwa Workshops zu den Markenwerten. Da lassen sich Fragen klären wie: Was heisst es konkret für die tägliche Arbeit, wenn wir uns in der Kommunikation als unkompliziert bezeichnen?

Heute setzen die meisten Unternehmen für ihr verkaufsgetriebenes Marketing auf Daten. Wie können sie diese auch für die Markenführung nutzen?

Um besser zu verstehen, was die Zielgruppe bewegt, was sie braucht und welchen Mehrwert ihr die Marke bieten kann. Mithilfe von Daten gelingt es, Kundinnen und Kunden individueller anzusprechen und dadurch als Marke relevanter für sie zu werden.

Wie weit darf diese Individualisierung bei der Ansprache gehen? Markenwerte sollten ja universell gelten …

Das stimmt. Aber ich kann Markenwerte passend zur Zielgruppe so übersetzen, dass sie als noch wichtiger wahrgenommen werden. Mit KI wird es künftig sogar möglich, solche personalisierten Botschaften bis auf das Individuum herunterzubrechen. Hier sehe ich allerdings ein Dilemma: Einerseits möchten die Kundinnen und Kunden personalisiert und individuell angesprochen werden. Andererseits kippt Personalisierung schnell ins Gegenteil, wenn sie als zu intim oder zu aufdringlich wahrgenommen wird. Dabei spricht man auch von «Creepy Marketing»: Können die Konsumierenden nicht nachvollziehen, warum ein Unternehmen so viel über sie weiss, entsteht ein Gefühl der Überwachung. Das kann dazu führen, dass Vertrauen verloren geht oder die Marke sogar ganz abgelehnt wird.

Sie haben KI erwähnt. Wie kann künstliche Intelligenz die Markenführung unterstützen?

Sie kann vor allem Routineaufgaben in der Markenkommunikation übernehmen: zum Beispiel Content auf die verschiedenen Kanäle adaptieren, Texte übersetzen oder Bilder bearbeiten. Im konzeptionellen und kreativen Bereich überzeugt mich der Output generativer KI heute noch nicht, weil diese eher zu Durchschnittlichem neigt als zu Einzigartigem. Dabei zählt genau dies zu den wichtigsten Aufgaben in der Markenführung – eine einzigartige Markenidentität zu kreieren.

Wie hat sich der Prozess für das Markenmanagement in den letzten Jahren verändert?

Vor allem die Richtung der Markenkommunikation hat geändert: Statt «inside out» erfolgt sie vermehrt «outside in». Früher hat sich das Marketingteam zusammengesetzt und überlegt, wie die Marke nach aussen auftritt und kommuniziert. Heute schreiben die User auf Social Media über die Marke und prägen sie dadurch wesentlich mit. Hinzu kommt: Durch die sozialen Medien ist das Verhalten der Mitarbeitenden und damit der Marke als Ganzes transparent geworden. Jedes Fehlverhalten hat das Potenzial, eine Reputationskrise auszulösen.

Wie geht das Marketing am besten mit dieser Situation um?

Grundsätzlich gilt schon seit jeher: Marke ist nicht das, was das Unternehmen kommuniziert, sondern die Vorstellung der Konsumierenden vom Unternehmen. Die Kundschaft prägt also die Marke mit. Neu ist aber: Die einzelnen Kundinnen und Kunden haben nicht nur ein eigenes Bild der Marke, sie können auch das Bild vieler anderer Personen stark beeinflussen. Deshalb muss das Marketing dauernd beobachten, was über die Marke gesagt wird, und wenn nötig die Kommunikation in eine andere Richtung lenken.

Wie gelingt das?

Das Unternehmen kann entweder die eigene Kommunikation verstärken, indem es zum Beispiel mittels einer Imagekampagne über seine Markenwerte spricht. Oder es arbeitet mit Influencern zusammen. Das muss kein bezahltes Influencer Marketing sein. Genauso kann das Unternehmen Mikro-Influencer wie Mitarbeitende oder loyale Kundinnen und Kunden zu Wort kommen lassen. Dabei braucht es die richtige Balance zwischen Freiraum und Kontrolle. Sodass die Botschaften der Influencer glaubwürdig sind und dennoch die Markenwahrnehmung in die richtige Richtung lenken.

Zur Person

Dr. Lucia Malär ist Dozentin und Forscherin am Institut für Marketing an der Universität Bern.

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