Fundraising: Auffallen ist nicht genug

Fundraising: Auffallen ist nicht genug Im Gespräch mit Branchenexperten

Wie schaffen es Hilfsorganisationen heute, Spendende von sich zu überzeugen? Mit relevanten Inhalten, einzigartigen Botschaften und der Vermittlung positiver Gefühle. Darüber und über den Einfluss der Digitalisierung auf das Fundraising sprechen die drei Branchenexperten Susi Kammergruber, Roger Tinner und Stefan Stolle.

Roger Tinner (Geschäftsführer Swissfundraising), Stefan Stolle (Leiter Kommunikation & Marketing sowie GL-Mitglied Helvetas) und Susi Kammergruber (Creative Director sowie GL-Mitglied Spinas Civil Voices). Bild: Raffael Waldner

Jedes Jahr um die Weihnachtszeit erhält die Schweizer Bevölkerung unzählige Spendenaufrufe. Wie gelingt es, in dieser Masse aufzufallen und Spender für sich zu gewinnen?

Stefan Stolle (SST): Eine Konzentration von Spendenaufrufen zu Weihnachten gibt es eigentlich nicht. Gesammelt wird das ganze Jahr über. Aber der Response, also die Zahl der Spenden, ist in der Adventszeit und zu Beginn des Jahres höher.

Susi Kammergruber (SK): Dem stimme ich zu. Ich beziehe die Frage deshalb auf das ganze Jahr. Hinter einem durchschlagenden Spendenerfolg steckt in den meisten Fällen eine frische und unkonventionelle Idee. Das kann eine originelle Ansprache sein, ein besonderes Format oder eine spannende Haptik. Mit Auffallen allein ist es aber nicht getan. In der heutigen Flut von Negativ-Nachrichten sehnen sich die Menschen nach positiven Anreizen. Wer den Empfängern von Spendenmailings schon beim Couvert ein positives, emotionales Erlebnis schenken kann – sei es in Form von Bildern oder einer Botschaft – wird mit Spenden belohnt.

SST: Für mich ist das wichtigste Schlagwort die Relevanz. Der Inhalt des Aufrufes muss für den Adressaten relevant sein, er muss sich angesprochen fühlen und Lust bekommen zu handeln. Und es muss für ihn ersichtlich sein, was seine Spende bewirken kann.

Bild: Raffael Waldner

Was ist eine gute Botschaft, um Spendende zu überzeugen?

Roger Tinner (RT): Es braucht für NPOs genauso wie für kommerzielle Unternehmen eine wirklich einzigartige Botschaft. Und diese muss bei mir als potenziellem Spender das Gefühl auslösen, dass ich mit einer Spende konkret helfen kann.

SST: Das Alleinstellungsmerkmal von Helvetas heisst «echte Veränderung, über Generationen». Das macht uns einzigartig, weil die meisten Organisationen ihre Wirkung nicht über mehrere Generationen nachweisen können.

In unserer fortschreitend digitalisierten Welt ist das Briefmailing mit einem Einzahlungsschein mit grossem Abstand immer noch das effektivste Fundraising-Mittel. Weshalb?

SST: Der Einzahlungsschein ist weit verbreitet und geniesst von allen Zahlungskanälen das höchste Vertrauen.

SK: Er ist eine einfache, visuelle Handlungsaufforderung. Die Spendenden legen den Einzahlungsschein auf den Stapel mit den Rechnungen und zahlen – am Schalter oder online – ihren Betrag ein.

RT: Ein E-Mail ist mit einem Klick gelöscht. Einen Spendenbrief auf den Altpapier-Stapel zu legen, das schafft zumindest eine Minute Zeit, darüber nachzudenken, dass meine Unterstützung vielleicht nötig ist.

Spenderinnen bindet man, indem man ihnen Möglich­keiten zu Interaktion und Engagement gibt.

Roger Tinner

Welche Rolle spielt die Haptik?

SST: Damit lassen sich Emotionen auslösen. Letztes Jahr verschickte Helvetas ein Blatt Schleifpapier mit dem Aufdruck «So fühlt sich Dürre an». So etwas kann nur ein Mailing. 

SK: Ein gedrucktes Mailing, das ich in den Händen halten kann, hat eine grössere Präsenz und generiert mehr Aufmerksamkeit als ein Newsletter in der Inbox. Aber für beide gilt gleichermassen: Idee und Inhalt müssen überzeugen.

Wird mit der jungen Spenderschaft das digitalisierte Fundraising gegenüber dem Briefmailing aufholen?

RT: Das wird es sicher. Ich denke allerdings nicht, dass die Digitalisierung das klassische Dialogmarketing ganz überflüssig machen wird.

SST: Digital ist auf dem Vormarsch. Aber es dauert noch lange, bis die Spenderinnen und Spender umgestellt haben. Das physische Mailing ist noch lange nicht tot. Es wird noch manche Jahre zum Einsatz kommen.

Wie gelingt es, die Jungen zu aktivieren?

SST: Junge müssen nicht extra aktiviert werden, sie sind schon aktiv. Schon immer gingen Solidarität und gesellschaftliche Veränderungen häufig von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen aus. Voraussetzung ist, dass wir uns ihnen mit Themen nähern, die für sie relevant sind.

SK: Egal, ob alt oder jung: Alle Altersgruppen spenden oder engagieren sich dann, wenn sie sich emotional angesprochen fühlen. Unterschiedlich sind aber die Kanäle, über die sie sich für ihre Anliegen einsetzen.

Bild: Raffael Waldner

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Welche neuen Fundraising-Möglichkeiten bietet die Digitalisierung? Und wie verändern diese das Fundraising?

SST: Grundsätzlich gibt es drei Methoden, Spendende anzusprechen: Schriftlich, telefonisch oder persönlich. Ob man einen physischen Brief oder ein E-Mail verschickt, ist nicht so zentral. Es geht um den Inhalt, die Geschichte, die erzählt wird. Die Digitalisierung bringt meiner Meinung nach nicht wesentliche Veränderungen mit sich.

SK: Aber was ist zum Beispiel mit Crowdfunding? Ich sehe hier durchaus eine Chance und eine Weiterentwicklung, um neue Zielgruppen anzusprechen.

RT: Ich sehe schon auch neue Möglichkeiten, die sich uns mit der Digitalisierung bieten. Auf digitalen Kanälen, etwa Social-Media-Plattformen, kann ich als Spender ein Anliegen teilen. Wenn ich von einer Botschaft überzeugt bin, kann ich sie schnell weit streuen.

SST: Theoretisch einverstanden. In der Praxis habe ich das noch nie erlebt.

Menschen spenden, wenn sie emotional angesprochen werden.

Susi Kammergruber

Auffallen um jeden Preis: Je schrecklicher das Leid auf dem Bild, umso grösser der Spendenfluss? Gilt das noch oder ist diese Wirkung verpufft?

RT: Das gibt es schon lange nicht mehr. Als Branchenverband der Fundraiserinnen haben wir ethische Richtlinien lanciert, die von allen unseren Mitgliedern unterzeichnet werden. Diese verbieten die Verwendung solcher Bilder, Verstösse ahnden wir auch.

SST: Vor dreissig Jahren wurde zum Teil mit Elend zum Spenden aufgerufen. Diese Schreckensbilder, gerade bei humanitären Katastrophen, existieren bis heute. Allerdings werden sie hauptsächlich durch die Medien verbreitet, Hilfswerke haben sich davon distanziert.

SK: Es verträgt schon das eine oder andere traurige Bild im Rahmen der ethischen Richtlinien. Schreckensbilder aber will der Empfänger nicht sehen. Vielmehr braucht es starke Bilder, die die positive Wirkung einer Spende aufzeigen.

Bild: Raffael Waldner

Gibt es einen empfehlenswerten Kanalmix für Fundraising-Aktivitäten? Was ist ein Muss?

SK: Es gibt keinen richtigen oder falschen Mix. Die einen sind erfolgreich mit vorwiegend physischen Mailings, andere mit Online-Kampagnen. Am besten ist, die Zielgruppen und die DNA der Organisation genau anzuschauen und dann den optimalen Kanalmix zu bestimmen.

SST: Ich empfehle allen, sich breit aufzustellen und einen differenzierten Fundraising-Mix zu entwickeln, der zur Organisation passt. Denn wer nur auf eine Karte setzt, geht ein grosses Risiko ein.

RT: Das ist sicher so. Gleichzeitig rate ich aber auch, sich zu fokussieren. Wer alle Kanäle bespielen will, die gerade «in» sind, ist überfordert. Die Kanäle müssen zum eigenen Anliegen und zur avisierten Zielgruppe passen. Das heisst: Man muss auch bewusst auf gewisse Kanäle verzichten.

Der Aufruf muss für den Adressaten relevant sein.

Stefan Stolle

Die personalisierte Ansprache ist ein wichtiges Mittel, um Spendende zu binden und langfristig Vertrauen aufzubauen. Wie sind die aktuellen Möglichkeiten für die Personalisierung im Fundraising?

SST: Die Herausforderung der Personalisierung heisst einmal mehr: Relevanz. Das heisst, man muss mit relevanten Themen und Inhalten zum richtigen Zeitpunkt die Spendenden kontaktieren. Wir setzen dazu Methoden wie etwa Data Mining oder Automated Triggered Marketing ein. In einem nächsten Schritt geht es darum, aufgrund der Interessen und des Verhaltens möglichst individuell auf die Bedürfnisse der Spendenden einzugehen.

SK: Neben Weblösungen, die technisch einen hohen Personalisierungsgrad zulassen, gibt es – je nach Datenbank – auch gute Möglichkeiten im Offlinebereich. Zum Beispiel, indem man ein Mailing beginnt mit: «Sie sind seit zwölf Jahren an der Seite blinder Menschen in der Schweiz ...» Eine solche individuelle Ansprache kann ein starker Trigger sein. 

RT: Die personalisierte Ansprache ist wichtig, aber sie darf nicht einfach eine Marketing-Taktik sein. Die Spendenden ernst nehmen heisst, ihnen auch Möglichkeiten zur Interaktion und zum Engagement zu geben. Nur so kann eine wirkliche Bindung entstehen.

Die Teilnehmenden:

Roger Tinner
Geschäftsführer Swissfundraising


Susi Kammergruber
Creative Director, Mitglied der Geschäftsleitung Spinas Civil Voices


Stefan Stolle
Leiter Marketing & Kommunikation, Mitglied der Geschäftsleitung Helvetas

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