«Performance gibt es nur mit Purpose»

«Performance gibt es nur mit Purpose» Interview mit Purpose-Experte Frank Dopheide

Für Frank Dopheide ist klar: Jede grosse Marke braucht eine grosse Idee – und kein Management nach der Effizienzformel. Deshalb empfiehlt der Experte für Purpose-driven Marketing den Unternehmen, endlich die rechte Gehirnhälfte einzuschalten und der Optimierungsfalle zu entkommen.

Porträt von Frank Dopheide
Purpose-driven Marketing zieht sich durch die gesamte Kommunikation: In ihren physischen und digitalen Kampagnen müssen Marken heute dokumentieren, welchen gesellschaftlichen Mehrwert sie schaffen.

Was ist für Sie Purpose-driven Marketing?

Frank Dopheide: Es steht für ein neues Denkmodell. Bisher fragte das Marketing in Bezug auf die Kunden: «What do they buy?» Nun lautet die Frage: «What do they buy into – welche Idee unterstützen die Kunden?» Das bedeutet eine Perspektive über das Produkt hinaus. Denn ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis reicht nicht mehr. Dafür ist der Wettbewerb heute zu gross. Im Zentrum steht der wahre Mehrwert des Unternehmens. Den erleben die Zielgruppen nicht am Regal, sondern im besten Fall kontinuierlich an sämtlichen Touchpoints. Das ist fürs Marketing aufwendiger, aber auch wertvoller.

Haben alle Unternehmen einen Purpose und brauchen ihn nur noch herauszuschälen? Oder gilt es, den Purpose von Grund auf zu entwickeln?

Im Deutschen gibt es den schönen Ausdruck «beseelt sein». Das bringt gut auf den Punkt, worum es beim Purpose geht. Leute, die beseelt sind, haben ein inneres Anliegen. Denken Sie an Karl Lagerfeld, Greta Thunberg oder Stephen Hawking: Solche Menschen verfügen über viel innere Kraft. Was sie tun, ist bedeutsam. Auch ein Bäcker oder ein Friseur kann beseelt sein, wenn er die Bestimmung in seinem Leben gefunden hat. Die meisten Unternehmen haben einen Purpose, wenn sie gegründet werden. Doch mit der Zeit rücken Businesspläne und Zahlen in den Vordergrund und das Wertstiftende in den Hintergrund. Spätestens dann sollten Unternehmen den Purpose wieder freiräumen, sichtbar und erlebbar machen.

So machen Sie Ihren Purpose mit Dialogmarketing sichtbar

Durch einen starken Purpose heben Sie sich von Ihren Mitbewerbern ab. Dazu müssen Sie ihn intensiv kommunizieren – am besten mit Dialogmarketing. Profitieren Sie von vielen konkreten Tipps für Ihre Purpose-Kommunikation.

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«Human is the next big thing», lautet Ihr Credo. Für einige mag das banal klingen. Wieso glauben Sie, dass dies der Schlüssel zum Erfolg ist?

Im Laufe der Zeit sind wir auf die schiefe Bahn geraten. Das begann mit Plato. Logik und Ratio machten Dinge möglich, die vorher unvorstellbar gewesen wären. Die Logik übernahm die Macht und wurde zur Ultima Ratio. Was irrational war, wurde vom Hof gejagt – die rechte Hirnhälfte abgeschafft. Das hält in der Wirtschaftswelt bis heute an: Uninspiriert, unmotiviert und sogar «unerfolgreich» dürfen Geschäftsführer sein, aber bitte nicht unlogisch. Mit dem Taylorismus brannte sich zusätzlich das Streben nach Effizienz ein. Und Nobelpreisträger Milton Friedmann verführte die Unternehmen schliesslich noch dazu, sich um den Shareholder Value mehr zu kümmern, als um die Mitarbeitenden und die Gesellschaft. Die Nebenwirkungen sind desaströs: Die Unternehmen haben die Loyalität ihrer Kunden, Mitarbeitenden und der Gesellschaft verloren. Sie stecken in der Optimierungsfalle. Wir müssen den Menschen zurück zum Unternehmen bringen.

Wieso gerade jetzt?

In den letzten Jahren strebten die Unternehmen einen immer höheren Profit an. Das Management verwechselte Optimum und Maximum. Der grösste Kostenblock – die Mitarbeitenden – wurde stetig ausgedünnt. So ist eine Menge Kompetenz, Erfahrung und Empathie für den Umgang mit Kunden verloren gegangen. Das System kippt. Die Menschen beginnen, den Wert der Unternehmen für die Gesellschaft zu hinterfragen. Für viele Firmen ist die grosse Bedrohung weder China noch die Digitalisierung, sondern der Verlust der «Licence to operate» durch die Gesellschaft. Das wird zum Risiko für die Investoren. Sie üben nun massiv Druck auf die Unternehmen aus, gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen und in ihrer Kommunikation zu dokumentieren. Sonst ist das Geschäftsmodell nicht nachhaltig.

Ist das Effizienzdenken also an seinem natürlichen Ende angelangt?

Ja. Denn wie steigert man die Effizienz? Man schneidet bildlich gesprochen immer mehr raus. Am Ende, wenn alles optimiert ist, bleibt nur die grosse Leere. Das meiste, was uns im Leben etwas bedeutet wie Partner, Kinder, Tiere oder Hobbys, funktioniert nicht nach der Effizienzformel. Lange wurden Preis und Profit mit Wert verwechselt. Doch nun kommt die Diskussion, was wirklich wertvoll ist, mit grosser Wucht zurück.

Wenn es mit physischen Mailings buchstäblich gelingt, die Menschen zu berühren, ist das viel wert. Mit Dialogmarketing lässt sich besonders leicht testen, welche Botschaften die Zielgruppe ansprechen und aktivieren.

Frank Dopheide

Für viele Unternehmen bedeutet es eine grosse Herausforderung, Purpose und Performance unter einen Hut zu bringen. Was raten Sie Ihnen?

Nur noch die wenigsten Unternehmen verfolgen das Ziel, mit etwas Neuem Wert zu schaffen. Stattdessen geht es darum, das Gleiche mit weniger Aufwand und geringeren Kosten zu machen. Ich nenne das Matroschka-Business: Immer dieselbe Masche, immer eine Nummer kleiner. Die Unternehmen vernachlässigen die grosse Idee. Doch Performance gibt es nur mit Purpose. Wenn man sich als Team hinter einem sinnstiftenden Ziel versammelt, kann man sogar Naturgesetze aushebeln und über sich hinauswachsen. Eigenschaften wie Kreativität, Empathie und Durchhaltewillen sind schwer messbar, aber sehr wertvoll. Ich rate den Unternehmen daher, die rechte Gehirnhälfte wieder einzuschalten. Wenn sie bei der Lösungsfindung auch das Unerwartete, das Unlogische, das Menschliche zulassen, entwickeln sie Neues mit Wert.

Purpose-driven Marketing verspricht Markenerlebnisse, die bei den Konsumenten aufgrund gemeinsamer Werte stärker wirken – ein hoher Anspruch. Wie lässt er sich einlösen?

Jedes Unternehmen sollte sich fragen: Wofür stehen wir und in welchem Kontext bewegen wir uns? Ist unser Purpose zum Beispiel mit Tradition und Vertrauen verbunden? Oder sind wir das Jungunternehmen mit den revolutionären neuen Ideen? All das formt den gesamten Auftritt der Marke: Tonalität, Farben, Schriften – sogar die Autos, mit denen wir bei den Kunden vorfahren. Eine Purpose-getriebene Firma hebt sich also nicht primär durch ihre Produkte ab, sondern mit ihrem Antrieb und ihrer «Attitude».

Welche Rolle kann dabei das Dialogmarketing spielen?

Eine grosse. Erstens ist es schwierig geworden, an die Leute ranzukommen. Wenn es mit physischen Mailings buchstäblich gelingt, die Menschen zu berühren, ist das viel wert. Zweitens lässt sich mit Dialogmarketing besonders leicht testen, welche Botschaften die Zielgruppe ansprechen und aktivieren. Das gleiche Mailing vor dem eigentlichen Versand in mehreren Varianten zu verschicken, schafft direkt Ergebnisse. Mit diesem «Proof» kann das Marketingteam das live getestete Budget gezielter einsetzen. Zudem wissen Fachleute für Dialogmarketing besser als andere Spezies in der Werbung, wie sie mit Tonalität, Emotionalität und Sinnlichkeit die Responsequote erhöhen. Ein Beispiel: Es macht einen riesigen Unterschied, ob Sie in einem Mailing als Prämie für eine Bestellung 100 Franken bieten oder «die bei allen Kindern gerade heiss begehrte Tierlampe, die es nirgends zu kaufen gibt». Die Lampe wirkt viel besser.

Ein glaubwürdig gelebter Purpose erfordert, Stellung zu beziehen. Da lauern aber viele Fettnäpfchen. Wie erkennen Unternehmen, bei welchen Themen sie mitreden sollten?

Ein grosser Teil der Unternehmen denkt, Nachhaltigkeit sei der Purpose. Doch das stimmt nicht – ausser Sie sind zum Beispiel ein Energieversorger. Ähnlich verhält es sich mit Diversität, von der gerade alle sprechen. Natürlich ist sie ein wichtiges Anliegen, aber in der Regel nicht der Treiber für unternehmerisches Handeln. Wenn etwa eine Bank oft über Diversität spricht, kann ihr das sogar den Vorwurf von billig erkaufter Sympathie einbringen. Denn die Leute merken: Das wirklich zentrale Thema im Bankenumfeld wäre eigentlich die Bekämpfung der Armut. Ich empfehle Unternehmen daher, sich die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNO anzusehen und zu überlegen, welches davon sie mit ihrer Tätigkeit im Kern berühren. Das kann zum Beispiel Gesundheit oder sauberes Wasser sein. Auf dieses eine Kernthema fokussiert man dann sein Engagement. Und auch der CEO spricht nur darüber. Ich finde es positiv, dass die Unternehmen heute mitreden wollen – aber bitte nicht bei jedem Thema.

Für welches Thema würden Sie sich persönlich als Aushängeschild einspannen lassen?

Fürs Nachhaltigkeitsziel 8 der UNO: menschenwürdige Arbeit. Warum? Weil die Arbeit alle betrifft – Millionen Menschen, acht Stunden täglich, fünf Tage die Woche. Sie ist der grösste Hebel, um die Welt zu verbessern.

 

Zur Person

Nach seiner langen Karriere als Chairman von Grey Worldwide und Chef der Handelsblatt Media Group hat Frank Dopheide im Jahr 2020 die Purpose Agentur human unlimited mit Sitz in Düsseldorf gegründet. Der Purpose seines Unternehmens ist, den Purpose anderer Unternehmen zum Leben zu erwecken. human unlimited versteht sich als kreative Antwort auf Unternehmensberatungen und Excel-Charts.