3 x 3 Antworten zur programmatischen Werbung Praxistipps von Programmatic-Fachpersonen
Programmatische Werbung entwickelt sich rasch weiter. Da ist es umso wichtiger, die neusten Trends zu kennen, häufige Fehler zu vermeiden und crossmediale Kampagnen richtig aufzusetzen. Drei Programmatic-Fachpersonen beantworten drei Fragen dazu – und geben Praxistipps.
Welches sind die wichtigsten aktuellen Trends bei der programmatischen Werbung?
Stephan Frey, CEO von Attackera:
- Attentive CPM: Der CPM – die Kosten für tausend Impressions (Cost per Mille) – zählt seit jeher zu den gängigen Abrechnungsmodellen der programmatischen Werbung. Allerdings umfasst er auch Impressions, die keine Aufmerksamkeit generieren. Anders der Attentive CPM: Bei diesem Preismodell bezahlen Werbetreibende nur für tatsächliche Aufmerksamkeit statt für Sichtbarkeit. Dazu werden Werbeplatzierungen ausgeschlossen, die kaum jemand beachtet, obwohl sie sichtbar sind. Ermittelt werden die entsprechenden Werte von spezialisierten Anbietern, unter anderem mittels Eyetracking-Tests.
- Nachhaltigkeit: Programmatische Werbung verursacht durch die benötigte technische Infrastruktur viel CO2. Spezialisierte Anbieter helfen nun dabei, weniger klimaschädliche Kampagnen zu realisieren. Sie ermitteln die energieintensivsten Platzierungen, damit die Werbetreibenden diese ausschliessen können.
- Cookieless World: Mit OneID haben mehrere Schweizer Publisher und Vermarkter eine Möglichkeit geschaffen, wie Werbetreibende auch in der Nach-Cookie-Ära programmatische Werbung optimal ausspielen können. Das Targeting ist voraussichtlich nicht mehr so granular möglich wie mit den bisherigen Third Party Cookies.
Karolin Werminghoff, Lead Programmatic Advertising bei BlueGlass|Team Farner:
- Connected TV: Bei klassischer TV-Werbung wussten Werbetreibende bisher nicht, wen sie wirklich erreichen, da es analog keine Möglichkeit für Targetings gibt. Connected TV ändert jetzt die Spielregeln: Neu lassen sich die User beim digitalen Fernsehen mithilfe von Daten in einem relevanten Moment mit interessenbasierter Werbung ansprechen – etwa im Umfeld ihrer Lieblingsserie.
- Programmatic Digital Out of Home: In der Schweiz gibt es bei der digitalen Aussenwerbung attraktive Inventare, also programmatisch buchbare Out-of-Home-Werbeplätze. Diese sind nicht nur durch die Möglichkeit zur triggergesteuerten Ausspielung – etwa auf Basis von Wetterdaten – interessant, sondern auch in Kombination mit Mobilewerbung: User, die sich im Umkreis eines digitalen Screens aufhielten und somit eine «Opportunity to see» mit der Werbung hatten, können mit passenden Mobile-Ads erneut angesprochen werden.
- Digital Audio: Programmatische Audiowerbung ist deshalb so wertvoll, weil Unternehmen ihre Zielgruppen mit gezieltem Targeting in einem emotionalen «screenless Moment» erreichen, wenn die Personen aufmerksam einen relevanten Podcast oder die Lieblingsmusik hören.
Jochen Witte, Managing Director Schweiz von Nunatak:
- Verzahnung von Performance-Marketing und Branding: Mit Programmatic Advertising lässt sich die Performance auch bei den typischen Branding-Medien wie TV oder Out of Home immer genauer messen. Deshalb sollten Performance-Marketing und Branding gemeinsam betrachtet werden.
- Neue Formen der Perfomance-Messung: Mit der programmatischen Werbung kam auch das Versprechen der «360-Grad-Kundensicht» auf. Heute wissen wir aber: Es ist nicht möglich, die Werbewirkung bei jeder Person individuell zu messen. Neue Ansätze bei der Perfomance-Messung gehen in Richtung von Stichproben, die mithilfe Künstlicher Intelligenz hochgerechnet werden.
- Monolithische Plattformen: Für den automatisierten Handel programmatischer Werbung haben die Angebots- und die Nachfrageseite grundsätzlich eigene Plattformen. Durch die Marktmacht der grossen Anbieter verschmelzen jedoch zunehmend die Rollen von Verkäufer und Einkäufer: Es entstehen monolithische Plattformen. Als Gegengewicht dazu sind Schweizer Lösungen wie OneID umso wichtiger.
Wie lässt sich programmatische Werbung am besten in crossmediale Kampagnen integrieren?
Stephan Frey:
Die programmatische Werbung ist auf dem besten Weg, crossmedial stark zu werden. Denn mittlerweile sind fast alle Kanäle programmatisch bespielbar. Allerdings gibt es dazwischen noch Brüche. Um die Kanäle zu verbinden, eignet sich etwa der geografische Ansatz. Dabei begleitet das werbetreibende Unternehmen seine Zielgruppe in einem definierten Einzugsgebiet mit Werbung. Datenanalysen sind bei solchen crossmedialen Kampagnen gleich doppelt wichtig: Erstens erleichtern sie das Verständnis, wie sich die Kampagne als Ganzes entwickelt. Zweitens lassen sich damit die Wechselwirkungen zwischen den herkömmlichen und den programmatischen Kanälen aufzeigen.
Karolin Werminghoff:
Zunächst einmal finden wir bei BlueGlass das Verständnis von Programmatic als Strategie – und nicht als optionales Produkt oder als Kanal – sehr entscheidend. Denn Kanäle wie Display, Video, Audio, Digital Out of Home und TV können auch programmatisch gebucht und hinsichtlich Targeting und Messbarkeit deutlich effizienter ausgespielt werden. Idealerweise besteht eine Kampagnenplattform, mit der problemlos crossmedial agiert werden kann. Zum Vergleich: Bei Direktbuchungen verteilen die Werbetreibenden bei den verschiedenen Vermarktern separate Budgets und bestimmen im Voraus, wo ihre Werbung ausgespielt wird. Demgegenüber ermöglichen Multi-Channel-Demand-Side-Plattformen einen Single Access Point für crossmediale Kampagnen.
Jochen Witte:
Kurzfristig lässt sich bei crossmedialen Programmatic-Kampagnen noch nicht alles orchestrieren. Schrittweise wird dies immer besser möglich sein. Als Vorbereitung darauf sollten die Werbetreibenden bereits ein eigenes Datenuniversum aufbauen und lernen, diese Daten entscheidungsreif aufzubereiten. Denn crossmediales Orchestrieren bedeutet ja nichts anderes, als strategische Entscheidungen zu treffen: Wo möchte ich als Marke stattfinden? Und wo funktioniert es gut? Danach heisst es: Testen, testen, testen, um rasch Erfolgsmetriken zurückzuerhalten. Der Fokus liegt dabei auf «rasch». Bei einer liquiden Budgetplanung ist es dann leicht, Geld sofort von schlecht performenden auf starke Kanäle umzulenken.
Welche Fehler sollten Werbetreibende bei Programmatic Advertising vermeiden?
Stephan Frey:
- Programmatic als einzelnen Kanal betrachten: Um User im ganzen Sales Funnel anzusprechen, genügt programmatische Werbung allein meist nicht. Deshalb sollten die Werbetreibenden sie immer im Zusammenspiel mit anderen Kanälen anschauen.
- Sich verzetteln: Programmatische Werbung bedeutet, mit grossen Datenmengen zu arbeiten. Viele Werbetreibende haben aber noch zu wenig gelernt, sich bei diesen Daten zu fokussieren. Sie wollen bei mehreren, teils gegenläufigen KPIs gut performen. Doch so funktioniert die programmatische Welt nicht. Denn wenn ich auf den einen KPI optimiere, verschlechtert sich der Wert des anderen. Es braucht also einen klaren Fokus auf das wichtigste Ziel.
- Mediastrategie überbewerten: Natürlich ist es auch bei programmatischer Werbung sinnvoll, die strategische Ausrichtung zu definieren. Wichtiger als die strategischen Gedanken im Vorfeld sind aber die Messbarkeit und die kontinuierliche Optimierung nach dem Go-live. Dabei gilt: Die Kampagne rund eine Woche lang wie disponiert laufen lassen und dann auf Basis der Resultate die Budgets für die einzelnen Kanäle umschichten.
Karolin Werminghoff:
- Eigene Daten vernachlässigen: Für Programmatic Advertising sollten Unternehmen prüfen, welche First-Party-Daten sie haben, diese programmatisch aktivierbar machen und fürs Targeting nutzen. CRM-Daten etwa lassen sich anonymisiert ins Kampagnentool einspeisen, um statistische Zwillinge zu bilden und User mit ähnlichem Profil oder Verhalten anzusprechen.
- Kein klares Ziel definieren: Alle fürs Marketing Verantwortlichen sollten gemeinsam definieren, auf welches Ziel die programmatische Kampagne optimiert wird. Verfolgt das Marketing eine Branding-Strategie, die auf Awareness abzielt und im oberen Teil des Sales Funnels ansetzt, oder eine Performance-Strategie im unteren Teil des Funnels? Darauf werden die KPIs und die Einstellungen im Kampagnentool abgestimmt.
- Werbemittel zu früh erstellen: Kreation und Media sollten frühzeitig besprechen, welche Werbemittel in welchen Phasen der Kampagne auf welchen Kanälen ausgesteuert werden. Erst dann beginnt die Kreation der Werbemittel, damit später beim programmatischen Ausspielen wirklich alle benötigten Sujets und Formate vorhanden sind. Nichts ist ärgerlicher als eine verpasste Chance für eine Conversion, weil das erforderliche Format fehlt.
Jochen Witte:
- In kurzen Kampagnenzeiträumen denken: Wer bei programmatischer Werbung in kurzen, abgeschlossenen Phasen denkt, vergibt sich die Chance für laufende Optimierungen und muss jede Kampagne wieder neu aufsetzen. Stattdessen empfehle ich, ein Budget für einen längeren Zeitraum festzulegen und die Massnahmen gemäss den Bedürfnissen der Marke und der Produkte über die Zeit zu optimieren.
- Klickzahlen überbewerten: Unzählige Studien zeigen, dass die meisten User bei Onlinewerbung nie auf Links klicken. Trotzdem haben sie die Werbung gesehen und kaufen Produkte, die sie sonst nicht gekauft hätten.
- Den ausländischen Werbemarkt kopieren wollen: In der Schweiz funktioniert der Werbemarkt ganz anders als in grossen Ländern. Der Druck, bei der programmatischen Werbung alles zu automatisieren und immer auf die neusten Technologien zu setzen, ist hierzulande viel geringer. Deshalb mein Tipp an die Werbetreibenden und ihre Agenturen: Übernehmen Sie von Werbemärkten wie den USA nur das, was wirklich sinnvoll ist. Gehen Sie besser Kooperationen ein und erarbeiten Sie gemeinsam pragmatische Schweizer Lösungen zu angemessenen Kosten.