Wie Agenturen Transformation mitgestalten Vier Profis geben Praxistipps für die Zusammenarbeit bei der Digitalisierung
Auch für NPO gehört es heute zu den Erfolgsfaktoren: das richtige Gleichgewicht zwischen Analog und Digital. Viele lassen sich bei der digitalen Transformation und der Kommunikation dazu von externen Profis unterstützen. Drei Experten schildern, wie Agenturen die Transformation ihrer Kunden wirkungsvoll mitgestalten.
Der Postversand von Werbemitteln ist auch heute noch der wichtigste Marketingkanal für NPO, um Spendengelder zu akquirieren. 57 Prozent der Schweizer Spenderinnen und Spender geben an, durch eben jene Aufforderungen im Briefkasten zu spenden, wie der Spendenbarometer 2019 des Marktforschungsinstituts Demoscope zeigt. Demnach nimmt zudem die grosse Mehrheit – 72 Prozent – das postalische Dialogmarketing am stärksten von allen gängigen Kommunikationskanälen wahr. Digitale Aufrufe in sozialen Medien oder «im Internet» fallen hingegen deutlich ab: Nur 17 Prozent der Befragten erinnerten sich daran. Auch der spendenauslösende Effekt ist mit 23 Prozent insgesamt klein – allerdings bei den bis zu 34-Jährigen signifikant höher als bei älteren Altersgruppen.
Crossmediale Kommunikation punktet
«Physische Post wird noch lange ein wichtiger Spendenkanal bleiben, gerade für NPO mit einem eher älteren Publikum mit mehr Lesezeit und vertieftem Content-Interesse», sagt die Studienverfasserin Ruth Wagner. Sie ist Geschäftsführerin der auf NPO spezialisierten Agentur One Marketing. Digitale Kanäle seien kein Ersatz, aber als Ergänzung nicht zu vernachlässigen. Gaby Füchslin, die als Geschäftsleiterin der Zürcher Agentur Spinas Civil Voices ebenfalls Non-Profit-Organisationen betreut, stimmt zu: «Am erfolgversprechendsten wird zukünftig auf jeden Fall die crossmediale Kommunikation sein.» Es sei falsch, Digital gegen Analog ausspielen zu wollen.
«Ähnlich wie bei der Erfindung des Fernsehens, als dem Radio bereits der Niedergang vorausgesagt wurde, werden die analogen Kanäle weiterhin ihre Berechtigung haben.» Das Ausspielen von Digital und Analog sei heute jedoch noch an der Tagesordnung in vielen Unternehmen. «Das beginnt bereits in der Budgetierungsphase der einzelnen Abteilungen», sagt Füchslin. «Werden die Einnahmen und Ziele für Online und Offline unabhängig voneinander budgetiert, wird jede Abteilung im Unternehmen zuerst für sich selbst schauen.» Das sei menschlich verständlich, aber künftig nicht mehr zielführend. Die Werberin plädiert daher für einen strukturellen Wandel, bei dem Silos aufgelöst werden und mit agilen Methoden spenderzentriert zusammengearbeitet wird.
Die Agentur als Wegbereiter
Kunden eine digitale Transformation schmackhaft machen, obwohl sie heute noch keinen unmittelbaren Druck empfinden – für Agenturen eine Herausforderung. «Agenturen leben davon und leiden darunter, dass sich bei ihren Auftraggebern mit Blick auf neue Strukturen und Prozesse zu wenig zu langsam ändert», heisst es bereits in einer Studie des deutschen Gesamtverbands Kommunikationsagenturen (GWA) von 2017, die auf 30 qualitativen Einzelinterviews mit Marketing- und Agenturverantwortlichen basiert.
Lars Neumann, Partner der Digitalagentur Webrepublic, hat schon zahlreiche Unternehmen bei der digitalen Transformation begleitet. Er findet: «Die Trennung von klassischer und digitaler Werbung muss aufgebrochen werden.» Digitalisierung sei heute nicht mehr nur ein Trend oder Teilgebiet von Marketing, sondern Realität. Die Zeit, in welcher der Digitalexperte diese Tatsache den Unternehmen beim Consulting noch von Grund auf nahebringen musste, sei jedoch vorbei. «Spätestens durch die Veränderungen, die Corona ausgelöst hat, wurde dies dem Management in vielen Unternehmen schmerzlich klar. Während vorher noch deutlich mehr Aufklärungsarbeit nötig war, hat sich das Verständnis für die Digitalisierung massiv beschleunigt.»
Zusammenarbeit für die Digitalisierung
Neumanns Erfahrung nach ist für den Erfolg einer digitalen Transformation der entscheidende Faktor, dass sie von allen Mitarbeitenden getragen wird. «Beteiligte Teams müssen so früh wie möglich transparent miteinbezogen werden», sagt Neumann. «Vertreter der wichtigsten Stakeholder sollten in die Gestaltung der digitalen Transformation integriert anstatt vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Nur so können Silos überbrückt und eine gemeinsame Basis geschaffen werden.» Auch Gaby Füchslin sagt: «Wir arbeiten nicht nur mit der Führungsebene zusammen, sondern unterstützen die Abteilungen mit verschiedenen massgeschneiderten Workshops, um die Mitarbeitenden vorzubereiten und eventuelle Skepsis oder Bedenken zu beseitigen.» Für Füchslin ist ein enges Verhältnis zu «ihren» NPO entscheidend. «Wir verstehen uns als Team zusammen mit unseren Kunden. Es bringt meiner Meinung nach nicht viel, einen Best Case auf alle adaptieren zu wollen.» Eine digitale Transformation bringe immer Unsicherheit mit sich. Darum sei es wichtig, sich auch in dieser Phase seiner Stärken bewusst zu sein und die Stärke auf die digitalen Kanäle zu transformieren.
In der GWA-Studie heisst es dazu: «Verantwortliche in Agenturen werden mehr und mehr zu Coaches, die gemeinsam mit ihren Auftraggebern Businesslösungen erarbeiten.» Es reiche nicht, wenn Agenturen neue Arbeits- und Kooperationsmodelle bei ihren Auftraggebern einforderten. Sie sollten Cases und Erfolgsbeispiele bei anderen Kunden sammeln, um damit auch sicherheitsorientierte Auftraggeber alter Schule zu überzeugen. Agenturen könnten in Start-ups die Rolle von Marketingleitung, Unternehmensberatung und Agentur zugleich einnehmen. So könne man sich als Agentur weiterentwickeln, Know-how aufbauen sowie Strategien und Cases generieren, die auch Kunden aus der «alten Welt» überzeugten.
Digitale Transformation als «New Normal»
Die junge Agentur Sir Mary wirbt mit dem Claim «We decomplex digital» dafür, Unternehmen durch die Komplexität der digitalen Welt zu führen. Nicolas Hostettler, Strategy Director, Partner und Mitglied der Geschäftsleitung bei Sir Mary, erlebt es nie, dass Unternehmen sich nicht transformieren wollen. Er sagt: «Heute steckt doch jedes Unternehmen in einer digitalen Transformation. Das ist der neue Modus Operandi einer hochvernetzten und auf Highspeed getrimmten Welt.»
In seiner Agentur landen keine Briefings, die nach mehr vom Gleichen verlangen. «Sondern sie beginnen immer häufiger mit ‹Wir müssen uns verändern›.» Der entscheidende Faktor, um ein Unternehmen als Agentur erfolgreich bei der digitalen Transformation zu begleiten, ist Hostettlers Ansicht nach eine Frage der Kultur. «Das gilt für die Zusammenarbeit zwischen Agentur und Kunde, wo ohne das typische Muster – das Briefing entsteht beim Kunden und die Lösung bei der Agentur – gearbeitet werden muss», so der Stratege. «Und es gilt für den Transformationsprozess an sich.» Meistens beginne dieser mit intensiver Kommunikation und kulturellen Veränderungen innerhalb des Unternehmens.