Über die Sinne ins Herz der Kunden

Über die Sinne ins Herz der Kunden Multisensorisches Marketing als Verkaufsturbo

Der Sensorik-Experte Sebastian Haupt erklärt im Interview, weshalb in einer digitalisierten Welt das haptische beziehungsweise multisensorische Erlebnis wichtiger denn je ist.

Herr Haupt, die Verkaufszahlen von gedruckten Zeitungen sind auf einem Rekordtief und Modeläden schliessen, weil die Menschen lieber online shoppen – hat Haptik seinen Zauber verloren?

Ganz im Gegenteil: Zwar werden weniger Tageszeitungen gedruckt, weil die Menschen sich lieber schnell online informieren wollen, doch gedruckte Wochenzeitungen sind nach wie vor sehr populär und Special-Interest-Zeitschriften schiessen im Moment wie Pilze aus dem Boden. Print befindet sich also keineswegs auf dem Rückzug.

Und die Modeläden?

Vielleicht hat der stationäre Handel die Digitalisierung etwas unterschätzt. Onlineshopping ist bequem und bei kostenlosen Retouren auch vorteilhaft. Menschen stöbern dennoch immer noch gerne in Geschäften oder auf Flohmärkten und lassen sich persönlich im Fachgeschäft beraten. Das gilt besonders für die Digital Natives, sie nutzen die verschiedenen Kanäle noch viel zielorientierter.

Weshalb ist das haptische oder multisensorische Erleben so wichtig?

Wir können unsere Umwelt nur über unsere Sinne wahrnehmen. Wenn wir etwas in die Hand nehmen, befassen wir uns intensiver damit. Deshalb wirkt ein Brief stärker als eine E-Mail, ein Direct Mailing mehr als eine Pop-up-Werbung. Denn die digitale Welt können wir nur eingeschränkt sehen, hören und ertasten. Riechen oder Schmecken ist ganz unmöglich. Deshalb werden reine Online-Strategien selten funktionieren.

Online-Marketers werden entgegenhalten, dass der Erfolg ihrer Massnahmen genau messbar ist…

Gemäss einer aktuellen Studie der Mediaberatungsagentur Ebiquity überschätzen Marketers oftmals den Erfolg von digitalen Massnahmen gegenüber physischen. Programmatic Advertising hat viele Vorteile, aber letztlich kommen nur etwa 30 bis 40 Prozent des Werbebudgets effektiv beim Kunden an. Der Rest geht an die Dienstleister und ins komplexe Setup. Zudem können Klickzahlen oder Follower einfach «gekauft» werden und verzerren so die KPIs. Die Branche erwacht da gerade aus dem digitalen Kater und realisiert, dass crossmediale Ansätze die grösste Wirkung zeigen.

Wie sieht denn eine ideale crossmediale Kampagne aus?

Jede Kampagne sollte im Rahmen einer Marketingstrategie sauber konzipiert werden. In einem ersten Schritt gilt es herauszufinden, wer die Zielgruppe ist und welche Erwartungen sie haben an den Nutzen und die psychologische Belohnung. Im zweiten Schritt wird die eigene Marke analysiert: Welchen Mehrwert stiftet die Marke oder das Produkt und passt das wirklich zu den Erwartungen der Zielgruppe? Letztlich muss das Ganze sinnvoll in sämtliche Touchpoints übersetzt werden. Welche haptischen Codes spiegeln meine Produkteigenschaften wieder, welches Haptical – also Gadget oder Give-Away – eignet sich, wie soll ein Kommunikationsmittel gestaltet werden?

Nur Online funktioniert nicht: Weil Menschen die Umwelt nur über ihre Sinne wahrnehmen können, stöbern auch Digital Natives gerne auf Flohmärkten und in Geschäften.

Können Sie uns ein Beispiel geben, wie die Erwartungen der Zielgruppe das Kommunikationsmittel beeinflussen?

Ein Ferienanbieter muss sich beispielsweise überlegen, was seine potenziellen Kunden erwarten. Ferien gelten für die meisten als Erholung. Also muss dieses Erholungsversprechen kommunikativ übersetzt werden. Im Ferienkatalog sollte der Ferienanbieter daher grosse Bilder von Strand und Pool zeigen, und nicht vom Fitnessstudio. Denn dieses wird mit Anstrengung assoziiert, nicht mit der erhofften Erholung.

Wie gelingt der dritte Schritt – die Übersetzung der Marketingstrategie in multisensorische Signale – am besten?

Dabei hilft unter anderem das ARIVA-Modell, das die fünf Wirkdimensionen des Haptik-Effekts beschreibt. Für jeden Touchpoint können die Dimensionen durchgegangen werden – je mehr für die Botschaft relevante Sinne dabei angesprochen werden, desto stärker ist der haptische Effekt. Unternehmen sollten auch nicht zögern, sich von Agenturen beratend begleiten zu lassen, die sich auf sensorisches Marketing spezialisiert sind.

Das ARIVA-Modell

Das Multisense Institut teilt den «Haptik-Effekt» in fünf Wirkdimensionen ein, die das ARIVA-Modell beschreibt. Bei einem Direct Mailing sind beispielweise folgende Fragen zu beantworten.


Attention – Aufmerksamkeit, Interesse
Weckt der Umschlag die Neugierde? Lädt der Umschlag zum Anfassen ein? Fühlt sich die Oberfläche angenehm beziehungsweise kongruent zur Botschaft an?


Recall – Erinnerung, Verankerung
Kann das Öffnen des Umschlags den Empfänger positiv überraschen? Beinhaltet das Mailing ein Haptical, welches die Botschaft vermittelt und vom Empfänger als nützlich gewertet wird?


Integrity – Vertrauenswürdigkeit, Glaubwürdigkeit
Transportieren das Material, die Qualität und die Form des Mailings und des Hapticals die Markenpositionierung?


Value – Wertschätzung, Gefallen
Vermittelt das Mailing Wertschätzung gegenüber dem Empfänger? Hat das Haptical einen symbolischen oder konkreten Wert? Ist das Haptical durch seine Funktion wertvoll?


Action – Handeln, Kaufbereitschaft
Animieren das Mailing und das Haptical zur Interaktion? Fördert die Haptik eine Reaktion?

Checkliste für die haptische Optimierung von Touchpoints

Je mehr Sinne ein Kommunikationsmittel oder ein Touchpoint anspricht, desto höher ist die Kaufwahrscheinlichkeit. Die Checkliste zeigt, wie Kommunikationsmittel und Touchpoints haptisch beziehungsweise multisensorisch optimiert werden.

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Und was raten Sie Unternehmen, die sich keine Haptik-Agentur leisten können?

Unternehmen mit kleinem Werbebudget sollten ihre Marketingstrategie noch viel konsequenter durchspielen. Gerade bei den Zielgruppen kann oft noch stärker fokussiert werden. Sollen alle 10'000 Kunden kontaktiert werden oder nur die wichtigsten 100, dafür mit einem auffälligen Mailing und einem wertigen Haptical?

Sie sprechen von Hapticals. Der Klassiker unter den Give-Aways und Gadgets ist der Kugelschreiber – was gibt es sonst noch?

Kugelschreiber sind wohl einfach praktisch, denn man kann sie nach einem Beratungsgespräch oder einer Vertragsunterzeichnung dem Kunden übergeben. Allerdings sind sie nur in den wenigsten Fällen wertig und transportieren kaum einen relevanten Bezug zum eigentlichen Nutzenangebot. Sie geben jedoch dem Kunden das Gefühl, ein Geschenk erhalten zu haben. Denn darum geht es doch: Ein zur Marke passendes Geschenk zu finden, das beim Kunden auffällt und in Erinnerung bleibt und den Nutzen eines Angebotes symbolisiert.

Können Sie uns dazu wieder ein gelungenes Beispiel geben?

Ein Werkzeughersteller hat zur Lancierung eines neuen Trennschleifers Champagnerflaschen in Beton eingiessen lassen. Bei der Übergabe waren die Kunden zuerst natürlich irritiert, woraufhin der Aussendienstler den neuen Trennschleifer hervorholte und seinem Kunden in die Hand drückte. Dieser konnte nun den Champagner selbst aus dem Betonblock herausfräsen. Der Kunde erhielt damit nicht nur ein wertiges Geschenk, sondern er hat sich auch mit dem Produkt auseinandergesetzt und es mit allen Sinnen erlebt.

Kommen wir zurück zum crossmedialen Ansatz. Reicht es denn, wenn zum Trennschleifer noch Google Adwords geschaltet werden?

Das hängt natürlich wieder von der jeweiligen Marketingstrategie und den Zielgruppen ab. Wichtig ist, dass digitale und physische Massnahmen sauber aufeinander abgestimmt sind. Gerade im digitalen Bereich gibt es auch multisensorische Möglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft sind.

An was denken Sie konkret?

Zum Beispiel an Augmented und Virtual Reality. Modehäuser könnten ihren Kunden via Augmented Reality auf dem Handy zeigen, welche Farben und Grössen vom gewünschten Kleidungsstück vorhanden sind. Oder sogar, wie das Kleidungsstück an den Kunden aussieht.

Zur Person

Sebastian Haupt ist Konsumentenpsychologe und Geschäftsführer des Multisense Instituts für sensorisches Marketing in Berlin und Remscheid (D). Zusammen mit Haptik-Pionier Olaf Hartmann verfasste er das Fachbuch «Touch! Der Haptik-Effekt im multisensorischen Marketing», das in der zweiten Auflage im Haufe-Verlag erschienen ist.