Multisensorisches Marketing – Kaufen mit allen Sinnen

Multisensorisches Marketing Kaufen mit allen Sinnen

Multisensorisches Marketing fristet weitherum ein Aschenbrödeldasein. Der Grossteil der Unternehmen beschränkt darauf, den Sehsinn und den Gehörsinn anzusprechen. Zu Unrecht. In der Aktivierung des Geruch-, Geschmack- und Tastsinns steckt ein gewaltiges Wirkungspotenzial, das es auszuschöpfen gilt. Wissenschaftliche Untersuchungen zur sensorischen Wahrnehmung bestätigen diesen Befund.

Eine ältere Dame riecht an einer Melone
Genuss mit allen Sinnen: eine Chance für das Marketing

Sinnesreize sind Urerfahrungen der Menschheit. Ohne Sinnesorgane hätte die Spezies Mensch keine Überlebenschance gehabt: Rascheln im Unterholz warnte unsere Urururahnen vor Säbelzahntigern, Rauchgeruch wies sie auf Buschbrände hin, übelriechende Pflanzen hielten sie davon ab, diese zu essen, die Empfindsamkeit der Fusssohlen machte sie schmerzhaft auf spitze Steine und Dornen aufmerksam.

Einige hunderttausend Jahre später schlug die Geburtsstunde des multisensorischen Marketings: Auf einem Markt in Italien hält die Nonna eine Melone in den Händen, mustert sie akribisch, riecht daran, drückt mit dem Finger leicht auf die Oberfläche, hebt die Frucht ans Ohr und klopft mit dem Knöchel auf die Schale. Der Melonenbauer reicht ihr ein kleines Stück zum Kosten, und der Handel ist besiegelt.

Es liegt in der Natur der Menschen, dass sie die Welt um sich herum über alle fünf Sinnesorgane wahrnehmen. Durch Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten empfängt der Homo sapiens Reize und transformiert sie in elektrische Nervenimpulse oder Neuronen. Letztere werden als Informationen an das Gehirn weitergeleitet und dort in unterschiedlichen Regionen verarbeitet. Dies unter Einbezug von Erfahrungen, bereits Gelerntem und unter Einfluss von Gefühlen. Jeden Tag sind wir über unsere fünf Sinne Millionen von Sinneseindrücken ausgesetzt, von denen der allergrösste Teil im Unbewussten registriert wird.

 

Charakteristika der fünf Sinne

 

Sinnesreize und Kaufentscheide

Sinnesreize wirken im Unbewussten und hochgradig emotional. Dies sollte jeden Marketer aufhorchen lassen. Aus zahlreichen Studien geht hervor, dass Kaufentscheidungen zum überwiegenden Teil unbewusst getroffen werden und fast immer emotional geprägt sind. Damit wird deutlich, welche Bedeutung dem multisensorischen Marketing zukommt.

Erstaunlicherweise beschränkt sich noch immer eine Vielzahl von Unternehmen darauf, ihre Botschaften lediglich visuell und auditiv zu vermitteln. Hier liegt Erfolgspotenzial brach, das es zu nutzen gilt. Olof Hartmann, Geschäftsführer des Multisense Instituts Renscheid (D): «Mit jedem zusätzlichen Sinn, den ich zur Vermittlung meiner Botschaft nutze, erhöht sich die Gehirnaktivität im Kopf um 1‘000 Prozent. Multisensorische Signalmuster werden schneller wahrgenommen, leichter wiedererkannt, erzeugen höhere Glaubwürdigkeit und generieren mehr Wertschätzung.» Weiter führt er an, dass gemäss internationalen Studien multisensorisch geführte Marken doppelte Kundenloyalität geniessen im Vergleich zu Marken, die nur optisch und akustisch erkennbar sind.

Multisensorische Botschaften werden schneller aufgenommen, besser verinnerlicht und bleiben länger im Gehirn verankert. Will man ein Kind auf die Gefährlichkeit einer heissen Herdplatte aufmerksam machen, kann man auf die Platte zeigen (sehen) und sagen «Vorsicht, heiss!» (hören). Möglicherweise vergisst es den gut gemeinten Rat bald wieder. Sagt man ihm «Vorsicht, heiss!» und es fasst trotzdem mit dem Finger auf die Platte (tasten), wird es diese schmerzhafte haptische Erfahrung wohl nie wieder vergessen.

Multisensorisches Marketing als Wettbewerbsvorteil

Dass multisensorisch optimiertes Marketing deutlich bessere Ergebnisse in Form von Aufmerksamkeit, Umsatzsteigerung und Markenbindung bringt, hat sich vielfach bestätigt. So hat der Sportartikelhersteller Nike festgestellt, dass ein stimmiger Duft in den Stores die Kaufbereitschaft der Kunden um 80 Prozent erhöhte. Eine umfangreiche Studie mit über 300 Teilnehmenden wies nach, dass Menschen beduftete Printwerbung intensiver und nachhaltiger wahrnehmen als duftneutrale Werbung. Aus einer weiteren Studie geht hervor, dass Kunden im Durchschnitt sechs Minuten länger in einem Laden verbringen, wenn Klänge und Düfte eine angenehme Atmosphäre verbreiten. Allen voran ging bereits vor Jahrzehnten der Apple-Gründer Steve Jobs, der mit einem visuell und haptisch ansprechenden Produkt- und Packungsdesign multisensorische Gesamterlebnisse vermittelte, lange bevor Multisensorik zum Marketingthema wurde.

Heute ist multisensorisches Marketing eine unabdingbare Voraussetzung, um sich in gesättigten und hart umkämpften Märkten zu behaupten und die sensorisch zweidimensional ausgerichtete Konkurrenz zu überflügeln. Die erfolgreiche Marke von morgen ist nicht nur sichtbar, sie muss auch klingen, duften, schmecken und zum Anfassen anregen. Die Herausforderung im Branding liegt darin, visuelle, akustische, olfaktorische, gustatorische und haptische Reize zu einem unverwechselbaren multisensorischen Gesamterlebnis zusammenzuführen. Als wichtigste Handlungsfelder für multisensorisches Marketing bieten sich das Produkt selber, die Verpackung, die Werbung und die Verkaufsumgebung an.

Praxis-Leitfaden multisensorisches Marketing

Die multisensorische Kundenansprache ist die Zukunftsdisziplin des Marketings. Wer seine Marke nicht nur visuell und akustisch inszeniert, sondern auch olfaktorische, gustatorische und haptische Erlebnisse kreiert, erzielt deutlich mehr Wirkung. Wie Sie Multisensorik erfolgreich umsetzen, zeigt Ihnen unser Praxis-Leitfaden anhand von 11 Handlungsoptionen auf.

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Vom Dialogmarketing zur mehrdimensionalen Konversation

Grafik Multisensuelle Markenführung
Elemente der multisensuellen Markenführung

Die US-amerikanische Wissenschafterin und Expertin für multisensorisches Marketing Prof. Dr. Aradhna Krishna definiert Sensorik-Marketing als Marketing, das auf die Sinne des Kunden abzielt und durch die Vermittlung von sensorischen, im Unbewussten wirkenden Reizen die Wahrnehmung, das Urteilsvermögen und das Verhalten – also die Kaufentscheide – beeinflussen. Nachdem in den letzten Jahren der Dialog zwischen Anbieter und Käufern im Vordergrund stand, geht es im multisensorischen Marketing um eine mehrdimensionale Konversation: Produkte finden ihre eigene Sprache und die Konsumenten reagieren darauf gefühlsmässig und unbewusst.

Das Interesse der Marketingwelt für multisensorisches Marketing ist exponentiell gewachsen. Auch das Wissen darüber verbreitet sich immer mehr. Dr. Krishna warnt jedoch davor, Produkte und Verkaufsstrategien nach dem Prinzip «je mehr, desto besser» mit sensorischen Impulsen aufzuladen und bei allen fünf Sinnen zuzulegen. Ein Übermass an Sensorisierung kann Kundinnen und Kunden verwirren, insbesondere dann, wenn die Reize nicht kongruent sind. Die Expertin plädiert für eine systematische Vorgehensweise, die sie als «Sensory Makeover» bezeichnet. Dieser Prozess kann über punktuelle Veränderungen in den Bereiche Produktdesign, Verpackung und Werbung erfolgen, dies mit dem übergeordneten Ziel, für die Marke eine sensorische Signatur zu entwickeln. Es ist in jeden Fall gut zu überlegen, wie weit Veränderungen in Richtung Sensorisierung gehen sollen, und welche sensorischen Elemente mit der Marke oder dem Produkt Konsistenz aufweisen.

Dr. Krishna und ihr Forschungsteam haben über Jahre hinweg zahlreiche Untersuchungen zur Wirkung von Sensorik im Marketing mit Bezug zu jedem einzelnen der fünf Sinne durchgeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass es oft nur kleiner Veränderungen bedarf, um im Unbewussten der Konsumentinnen und Konsumenten Reaktionen auszulösen.

 

Optik
Akustik
Olfaktorik
Gustatorik
Haptik

 

Physische Kontakte – ein Urbedürfnis der Menschen

Die Digitalisierung der Marketing-Kommunikation und die damit verbundene Verlagerung der Marketing- und Werbebudgets in die Online-Welt sind in den letzten Jahrzenten weit fortgeschritten. Diese Entwicklung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass physische Kontakte mit potenziellen Käuferinnen und Käufern über physische Kommunikationsmittel oder in Verkaufsumgebungen entscheidend zum Markterfolg beitragen. Dass bei den Menschen ein immenses Bedürfnis nach physischen Begegnungen besteht, hat die durch die Pandemie bewirkte behördliche Verordnung von Distanz deutlich gemacht.

Durch Sensory Imagery kann digitales Marketing zu Sensorik-Marketing werden.

Prof. Dr. Aradhna Krishna

«Sensory Imagery»

Um das Potenzial des sensorischen oder multisensorischen Marketings auszuschöpfen, sind physische Kontakte unter Einbezug der fünf Sinne naturgemäss unabdingbar. Online-Marketing und digitale Vertriebswege wie Online-Shops weisen in dieser Hinsicht ein Manko auf, da sich die sensorischen Impulse in der digitalen Welt auf Sehen und Hören beschränken. Die Forschungsarbeit von Dr. Krishna und ihren Teams zeigt jedoch Möglichkeiten einer Simulation von realen sensorischen Reizen bei den übrigen Sinnen durch die Aktivierung der Vorstellungskraft des Menschen auf. Die Expertinnen und Experten sprechen von «Sensory Imagery». Im visuellen Bereich ist «Dynamic Imagery», also die oben erwähnte Integration von bewegten Elementen in Bildern, ein Beispiel dafür. Ansprechend inszenierte visuelle Darstellungen und emotional gefärbten Beschreibungen können ebenfalls sensorische Reize vermitteln.

Interessant ist die Wirkung von Duft auf das Erinnerungsvermögen.

Prof. Dr. Aradhna Krishna

Appelle an die Vorstellungskraft kann beispielsweise das sinnliche Erlebnis von Duft auslösen, was die Forscher mit «Smellizing» bezeichnen. Selbst der Tastsinn lässt sich im Sinne von «Haptic Imagery» simulativ ansprechen, indem die visuelle und verbale Botschaft ein haptisches Erlebnis vermitteln («Befühlen Sie die feine Oberfläche dieses anschmiegsamen Seidenstoffes und erleben Sie Qualität und Wohlbefinden auf angenehmste Weise.»).

«Sensory Imagery» ist kein vollwertiger Ersatz für reale multisensorische Erfahrungen. Physische Kommunikationsmittel wie Mailings und Kataloge sowie die Ausgestaltung von Verkaufsumgebungen oder Messeständen als sinnlich erfahrbare Erlebnisorte sind unverzichtbare Touchpoints in der Customer Journey. Die über mehrere Sinne vermittelten Botschaften verankern sich tief im Unbewussten der Konsumentinnen und Konsumenten und wirken sich direkt auf das Kaufverhalten aus. Im Rahmen von crossmedialen Marketingkonzepten sind physische Kontakte mit starken sensorischen Stimuli bestens geeignet, um potenzielle Kunden in die Onlinewelt zu führen.

Die multisensorische Überlegenheit des physischen Mailings

Ein ideales Transportmittel für multisensorische Erlebnisse ist das physische Mailing. Mit keinem anderen Medium lassen sich alle fünf Sinne ansprechen. Eine attraktive, dem Auge schmeichelnde visuelle Gestaltung und sensorisch optimierte Texte lassen sich bei physischen Mailings stimmig mit haptischen, akustischen, olfaktorischen, gustatorischen Reizen verbinden. Strukturierte Papiere und andere Materialien mit ausgeprägten haptischen Eigenschaften reizen zum Anfassen, sprechen je nach Beschaffenheit durch angenehmes Rascheln oder Knistern auch den Hörsinn an und stellen unmittelbar eine emotionale Bindung her. Beduftetes Papier löst positive Gefühle aus, wenn der Duft zum Angebot passt. «Scratch & Sniff»-Rubbelflächen wecken Neugierde und Freude am Entdecken. Schokoladetäfelchen, Bonbons, Biskuits, Beutel mit hochwertigen Teekräutern und andere kulinarische Kostproben vermitteln reale Geschmackserlebnisse. Das kalifornische Weingut Beringer vermarktet seine Produkte erfolgreich mit Geschmacksstreifen, die sich im Mund auflösen und das Aroma des jeweiligen Weins zum Ausdruck bringen.

Checkliste für die haptische Optimierung von Touchpoints

Je mehr Sinne ein Kommunikationsmittel oder ein Touchpoint anspricht, desto höher ist die Kaufwahrscheinlichkeit. Die Checkliste zeigt, wie Kommunikationsmittel und Touchpoints haptisch beziehungsweise multisensorisch optimiert werden.

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Spannende Zukunftsaussichten

Sensorik-Marketing ist trotz Fortschritten in den letzten Jahren noch immer eine relativ junge Marketingdisziplin. Noch sind viele Fragen offen, mit denen sich die Wissenschafter auseinandersetzen. Zu den Schwerpunkten der Forschungsarbeit von Dr. Krishna zählt die Untersuchung der Interaktion zwischen den fünf Sinnen. In deren Zusammenspiel erschliessen sich unendlich viele Möglichkeiten für multisensorische Erfahrungen, deren Wirkungen noch unbekannt sind. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Vertiefung der Erkenntnisse auf dem Gebiet der Sensory Imagery, das vor allem auch im Hinblick auf sensorische Erlebnisse im virtuellen Raum hoch aktuell ist.

Für die Multisensorik-Expertin bilden die fünf Sinne des Menschen ein integraler Teil dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein. Dr. Krishna: «Wie wir über die Welt denken wird direkt davon beeinflusst, wie wir sie sehen, wie wir sie hören und sogar wie wir sie riechen, schmecken und berühren.»

 

Zur Person

Prof. Dr. Aradhna Krishna gilt gemäss Harvard Business Review als führende Expertin auf dem Gebiet des sensorischen Marketings und leistet Pionierarbeit in dieser Marketing-Disziplin. Mit einem Netzwerk von führenden Wissenschafterinnen und Wissenschaftern erforscht sie die verschiedensten Formen der sensorischen Wahrnehmung. Dr. Aradhna Krishna ist Dwight F. Benton Professorin für Marketing an der Ross School of Business, University of Michigan. Mit ihrem Buch «Customer Sense – How the 5 Senses Influence Buying Behavior» hat sie ein Standardwerk zum Thema vorgelegt. Eine weitere Fachpublikation, die ihren Stempel trägt, ist das Buch «Sensory Marketing – Research on the Sensuality of Products» – eine Sammlung von Aufsätzen aus der Feder verschiedener Fachautoren.