Wie Sie Touchpoints erfolgreich managen Expertengespräch zu Herausforderungen und Lösungen
Jeder Kontakt von Konsumierenden mit einem Unternehmen ist Chance und Gefahr zugleich: Im besten Fall entsteht eine lange Kundenbeziehung, im schlechtesten ein Reputationsschaden. Wie Firmen heute die relevanten Touchpoints erkennen und systematisch managen, diskutieren, Sven Reinecke, Carine Andrey Marek und Christoph Spengler im Expertengespräch.
Was macht für Sie gutes Touchpoint-Management aus?
Sven Reinecke: Bei gutem Touchpoint-Management geht es darum, den Kundinnen und Kunden das beste Erlebnis zu bieten – ihnen Kauf und Nutzung von Produkten so einfach wie möglich zu machen. Aus Kundensicht gilt: Je einfacher, desto besser. Denn der Mensch ist in seinem Wesen träge. Und genauso sind es die Konsumierenden. Bei jedem Medienbruch entlang der Customer Journey verlieren Unternehmen potenzielle Kundinnen und Kunden.
Carine Andrey Marek: Den Fokus auf die gesamte Customer Journey finde ich besonders wichtig. Das Touchpoint-Management sollte darauf abzielen, sämtliche aus Kundensicht wichtigen, aufeinanderfolgenden Schritte optimal zu gestalten. Nur dann behält die Kundin oder der Kunde das Unternehmen langfristig positiv in Erinnerung. Dabei gilt es, unterschiedliche Kundentypen zu berücksichtigen. Denn was als positiv, neutral oder negativ wahrgenommen wird, hängt vom Kundentyp ab. Gutes Touchpoint-Management investiert dort, wo es am meisten Kundennutzen generiert.
Christoph Spengler: Ich stimme mit dem bereits Gesagten überein und möchte noch eine weitere wichtige Anforderung ergänzen: Bei gutem Touchpoint-Management lassen sich alle Mitarbeitenden im Unternehmen auf die Kundinnen und Kunden ein. Die Kundenzentrierung ist dann allgegenwärtig spürbar – sei es im persönlichen Kontakt oder in den Kundenprozessen. Interaktionen mit solchen Unternehmen oder Marken geben den Konsumierenden nicht nur ein gutes Gefühl, sondern liefern auch einen klaren Mehrwert.
Fällt Ihnen ein Beispiel ein?
Christoph Spengler: Ich besuchte kürzlich ein Sportgeschäft. Die Mitarbeiterin kam gut gelaunt auf mich zu und beriet mich kompetent mit hilfreichen Tipps. Dadurch gab ich für mein neues Fahrradschloss gerne einiges mehr aus als geplant. Den Fokus auf eine hervorragende Beratung erlebe ich bei diesem Einzelhändler an allen relevanten Touchpoints entlang der ganzen Customer Journey – sei es in der Videoberatung, im Chat oder am Telefon mit dem Service. Solche positiven Erlebnisse, bei denen die Erwartungen übertroffen werden, stärken die Kundenbeziehungen, generieren neue Kundinnen und Kunden und werden weitererzählt.
Den Fokus auf eine hervorragende Beratung erlebe ich bei diesem Einzelhändler an allen relevanten Touchpoints.
Christoph Spengler
Sven Reinecke: Mir kommt als positives Beispiel Dominos Pizza in den Sinn. Das Unternehmen bietet den Kundinnen und Kunden zahlreiche Touchpoints zur Auswahl. Zusätzlich zur Website können sie unter anderem über WhatsApp, Slack und Twitter bestellen. Die Vielzahl von Touchpoints macht es ihnen so einfach wie möglich, eine Pizza zu ordern.
Das Problem der Medienbrüche wurde bereits erwähnt. Welche weiteren Herausforderungen gilt es beim Touchpoint-Management zu meistern?
Sven Reinecke: Die grösste Herausforderung ist die Diversität der Kundinnen und Kunden. Weil sich alle individuell verhalten, wählen sie nicht nur verschiedene Kontaktpunkte, sondern erst noch in unterschiedlicher Reihenfolge. Als Unternehmen kann ich ihre Customer Journey nur beschränkt steuern. Und ich darf schon gar nicht versuchen, das Kundenverhalten zu ändern – eine besonders teure Strategie mit geringem Erfolg. Stattdessen sollten Unternehmen Kundensegmente bilden, die wichtigsten Touchpoints auswählen und nach der 20-80-Regel Schwerpunkte setzen: also jene 20 Prozent der Kanäle besonders bespielen, die für 80 Prozent des Umsatzes sorgen.
Carine Andrey Marek: Dabei stellt sich die zusätzliche Herausforderung, die Bedürfnisse verschiedener Kundensegmente gleichzeitig zu bedienen. Die Migros hat kürzlich gezeigt, wie sie bei der Bezahlung im Laden den unterschiedlichen Bedürfnissen von drei Kundentypen gleichzeitig begegnen will. Sie bietet dazu Standardkassen, den Self-Checkout und die «Plauderkasse» an. Doch nicht alle Firmen haben so grosse Ressourcen wie die Migros. Den übrigen Unternehmen empfehlen wir, sich nur auf einen Hauptkundentyp zu fokussieren und für dieses Segment ein herausragendes Kundenerlebnis zu gestalten. Die anderen Kundentypen werden dabei keineswegs vernachlässigt. Nur wird das Kundenerlebnis nicht für sie optimiert.
Christoph Spengler: Bei der Umsetzung der Touchpoint-Strategie müssen die PS auf den Boden gebracht werden. Einfachheit ist dabei der Schlüssel zum Erfolg. Zentral ist zudem, dass die Führungskräfte das Überwinden des Silodenkens vorleben: also konsequent die Kundinnen und Kunden ins Zentrum stellen. Das Ziel lautet, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und ein gemeinsames Verständnis in der Marktbearbeitung zu etablieren. Damit sich dieser Prozess steuern lässt, braucht es eine Entscheidungsgrundlage in Form belastbarer Daten. Denn was man nicht messen kann, kann man nicht steuern. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die analogen und digitalen Instrumente – vor allem Owned Media und Earned Media – intelligent miteinander zu vernetzen.
Wie gelingt es Unternehmen, die wesentlichen Touchpoints zu bestimmen?
Christoph Spengler: Um für unsere Kundinnen und Kunden alle wesentlichen Touchpoints zu bestimmen, arbeiten wir mit unserer wissenschaftlich validierten 360°TOUCHPOINT-Analyse. Dabei berücksichtigen wir nicht nur Touchpoints, die vom jeweiligen Unternehmen bereits verwendet werden, sondern auch neue Kontaktmöglichkeiten. Neben der Reichweite beurteilen wir genauso die Relevanz von Owned, Paid und Earned Touchpoints für die jeweilige Branche. Um die untersuchten Touchpoints noch besser zu verstehen, führen wir auch qualitative Interviews durch.
Carine Andrey Marek: Wir empfehlen ebenfalls, zusätzlich zu quantitativen Analysen qualitative Interviews mit Kundinnen und Kunden zu führen. Nur aus diesen Kundenaussagen lässt sich verlässlich ableiten, welches die «Moments of Truth» sind – die relevantesten Schritte der Customer Journey – und welche Erwartungen die Kundinnen und Kunden daran haben. Wenn ich zum Beispiel an einen Hotelaufenthalt denke, kommt mir der Check-in als entscheidender Touchpoint in den Sinn, weil er meinen ersten Eindruck prägt. Doch für Gäste, die mit dem Auto anreisen, ist die Parkplatzsuche beim Hotel möglicherweise deutlich relevanter. Als Hotelbetreiber kann ich eine solche Erkenntnis aus Interviews nutzen, um einen neuen Touchpoint «Hilfestellung beim Parkieren» zu kreieren und dadurch vielen Gästen positiv in Erinnerung zu bleiben.
Sven Reinecke: Das Beispiel zeigt: Unternehmen müssen auch kritische Touchpoints erkennen, die zu einem negativen Kundenerlebnis und vielen Drop-outs führen. Dazu würde ich neben qualitativer Marktforschung auf Beobachtung setzen. Sowohl im Online-Shop als auch am physischen Verkaufspunkt lassen sich wichtige Erkenntnisse dazu gewinnen, an welchen Stellen der Customer Journey man am meisten Kundinnen und Kunden verliert.
Welche Touchpoints werden aus Ihrer Sicht am meisten vernachlässigt und warum?
Christoph Spengler: Die Owned Touchpoints – mit Schwerpunkt Nutzungs- und Loyalisierungsphase – und die Earned Touchpoints. Sie haben je nach Kontext häufig einen Wertbeitrag von mehr als 80 Prozent, in einigen Situationen gar über 90 Prozent. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Paid Touchpoints bedeutungslos sind. Es kommt also immer auf das verfolgte Ziel und die Zielgruppen an.
Sven Reinecke: Betrachtet man die verschiedenen Phasen des Kaufzyklus, werden seit jeher die Kontaktpunkte der Nutzungsphase am stärksten vernachlässigt. Denn die Unternehmen und ihre Verkäufer sind hauptsächlich an der Order-Phase interessiert. Für sie ist die Sache erledigt, wenn sie das Produkt liefern konnten. Doch für die Kundinnen und Kunden fängt der relevante Teil des Zyklus – die Nutzungsphase – jetzt erst an. Service, Reparaturen und Entsorgung sind sehr wichtige Themen für sie. Deswegen spreche ich bewusst vom Kaufzyklus und nicht vom Verkaufszyklus.
Für die Unternehmen ist die Sache erledigt, wenn sie das Produkt liefern konnten. Doch für die Kundinnen und Kunden fängt der relevante Teil erst jetzt an.
Sven Reinecke
Carine Andrey Marek: Ich sehe es gleich. Die Customer Journey endet nicht mit dem Kauf. Gerade wegen der unterschiedlichen Sichtweise von Unternehmen und Konsumierenden plädiere ich so stark für Kundengespräche. Wenn man bei der Analyse der Customer Journey systematisch vorgeht, ist es gar nicht möglich, wichtige Touchpoints zu vernachlässigen.
Ein Zweck des Touchpoint-Managements liegt darin, Synergien zwischen den Kanälen zu nutzen. Doch wegen der Wechselwirkungen lässt sich die kanalspezifische Wirkung nur schwer messen. Welches Vorgehen empfehlen Sie dazu?
Sven Reinecke: Bei einigen Werbekanälen wie E-Mails oder Direct Mails lässt sich der Response leicht messen. Das verleitet Unternehmen dazu, vor allem auf diese handlungsauslösenden Kanäle zu setzen – zumal sie gut verkaufen. Doch dabei geht vergessen, dass andere Touchpoints entlang der Customer Journey genauso zum Erfolg beitragen. Im B2B-Bereich etwa sind das Messen. Diese lösen zwar häufig nicht direkt Verkäufe aus. Aber oft braucht es sie, damit potenzielle Kunden das Produkt erleben können, bevor ein Mailing dann den entscheidenden Kaufimpuls auslöst. Was ich damit sagen will: Die Kanäle funktionieren zusammen und nicht gegeneinander. Unternehmen sollten pro Kanal festlegen, welche Aufgabe entlang der Customer Journey er übernimmt, und dann einen wirkungsvollen Mix erstellen.
Christoph Spengler: In unserer ganzheitlichen Analytik arbeiten wir mit der kombinierten Reichweite Total Audience Measurement (TAM) und berechnen für unsere Auftraggeberinnen und Auftraggeber den idealen Touchpoint-Mix. Die Kennzahl TAM sowie weitere KPIs ermöglichen uns, Kombinationen von Touchpoints zu beurteilen und zu vergleichen. Selbstverständlich berücksichtigen wir in der Analyse und beim Mix-Modelling auch die spezifischen Wirkungseffekte klassischer Reichweitenmedien wie TV, Plakat und Print.
Das Verhalten der Konsumierenden und ihre Customer Journey ändern sich laufend. Wie gehen Unternehmen mit diesem Wandel richtig um? Erfordert er, den Mix der bespielten Touchpoints permanent anzupassen?
Carine Andrey Marek: Die Motive und Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden verändern sich meist nur langfristig, die Mittel zur Befriedigung der Kundenbedürfnisse je nach Branche jedoch sehr häufig. Für Unternehmen bedeutet das: Sie müssen sicherstellen, dass sie diese Veränderungen mitbekommen. Mindestens jährlich braucht es ein Reporting darüber, was sich an «Technology Adoption» durchgesetzt hat, damit die Unternehmen ihre Entwicklungszyklen und ihre Touchpoints darauf abstimmen können. Ein einfaches Beispiel: Banken mussten in der Coronakrise nicht die Ersten sein, die Videoberatung anboten. Wenn eine Bank aber heute immer noch denkt, dass alle Kundinnen und Kunden ein persönliches Treffen einem Videocall vorziehen, macht sie etwas falsch und handelt sich einen Nachteil gegenüber ihren Mitbewerbern ein.
Wenn eine Bank heute immer noch denkt, dass alle Kundinnen und Kunden ein persönliches Treffen einem Videocall vorziehen, macht sie etwas falsch.
Carine Andrey Marek
Sven Reinecke: Hier gibt es für die Unternehmen eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte vorweg: Es fallen kaum alte Kanäle weg, es kommen nur neue hinzu. Das bedeutet eine Herausforderung für die Effizienz. Immerhin gibt es inzwischen Instrumente, um die Komplexität zu handhaben – etwa Tools, um Botschaften auf mehreren sozialen Medien gleichzeitig auszuspielen. Die gute Nachricht: Das Medienverhalten der bestehenden Kundinnen und Kunden verändert sich keineswegs rasch und disruptiv. Sie halten meist an den Kanälen fest, die sie kennen. Deutliche Unterschiede zeigen sich jedoch zwischen den verschiedenen Alters- beziehungsweise Kundengruppen. Die Unternehmen müssen ihre Kontaktpunkte also nicht dauernd anpassen. Aber sie sollten immer wieder hinterfragen, welche Kanäle es braucht, um ihren heute und in Zukunft wichtigsten Kundinnen und Kunden das Leben so einfach wie möglich zu machen.
Touchpoint-Management verfolgt immer auch ein Effizienzziel. Wie lässt sich der Mitteleinsatz systematisch optimieren?
Sven Reinecke: Das Wirkungsziel ist die Effektivität, sprich der Output. Als Erstes muss ich daher festlegen, welchen Output ich betrachte: etwa den Rücklauf, die Anzahl Bestellungen oder die Imagewerte. Erst wenn ich das Wirkungsziel kenne, kann ich den Mitteleinsatz optimieren. Die Effizienz ergibt sich als Output geteilt durch den Input. Will ich beispielsweise mindestens zehn Bestellungen auslösen, lässt sich für verschiedene Kanäle wie digitales oder physisches Mailing heute berechnen, wie viel ich dafür investieren muss. Der Vergleich macht deutlich, welches die effizientesten Kanäle sind.
Christoph Spengler: Effizienz ist ein zentrales Thema. Deshalb beschäftigen wir uns intensiv damit. Auf Grundlage der hochwertigen Leistungsdaten aus der 360°TOUCHPOINT-Analyse maximieren wir mit Optimierungsalgorithmen den Mitteleinsatz für Strategien und Kampagnen. Das ermöglicht die Erfolgssteuerung in der Marktbearbeitung. Unsere Erfahrung zeigt: Durch eine optimale Verknüpfung der Touchpoints und die Budgetoptimierung liegen Performance-Steigerungen von gut 30 Prozent drin.
Carine Andrey Marek: Was sich generell sagen lässt: Ineffizient erfolgt der Mitteleinsatz, wenn einzelne Mitarbeitende nur für bestimmte Touchpoints verantwortlich sind. Sie vertreten dann in erster Linie diese Kanäle und das Budget dafür, verlieren aber die Interessen der Kundinnen und Kunden aus dem Blick. Um ihre Mittel effizient einzusetzen, brauchen Unternehmen daher vor allem eine Gesamtsicht. Im Fokus steht, wie sich die Kundenbedürfnisse pro Schritt auf der Customer Journey am besten erfüllen lassen. Diese Analyse zeigt, welche bestehenden Touchpoints angepasst oder gestrichen und welche neuen kreiert werden sollten.
Prof. Dr. Sven Reinecke ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Marketing und Customer Insight sowie Titularprofessor an der Universität St. Gallen (HSG). Dort ist er Co-Leiter des Masters in Marketing Management.
Carine Andrey Marek ist Director bei Stimmt. Das Beratungsunternehmen unterstützt seine Klienten dabei, sich durch positive Kundenerlebnisse zu differenzieren.
Christoph Spengler ist Gründer und Managing Director von Accelerom. Das Beratungs- und Forschungsunternehmen entwickelt Lösungen zu den Themen Omnichannel-Marketing und Kundenzentrierung sowie Digitalisierungs- und Datenstrategien.